An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
19. Februar 2016
Die Amarone Legenden von Valpolicella
Nordöstlich von Verona, östlich des Gardasees, liegt das Anbaugebiet des Valpolicella, das sich nach Osten bis zum Soave-Gebiet, nach Westen bis zum Bardolino-Gebiet erstreckt. Das Anbaugebiet des Valpolicella ist im Norden gebirgig, im zentralen Abschnitt hügelig, während sich im Süden viele Hochebenen befinden. Die Böden der nördlichen Ausläufer der Lessini-Berge, die das Tal abschirmen, genießen den günstigen Einfluss des nahen Gardasees, der durch das milde Klima wesentlich zum önologischen Wert der Zone beiträgt.
Seit Jahrhunderten haben die lokalen Winzer verschiedene Techniken verwendet, um die Tiefe und Komplexität ihrer Cuvées zu verbessern. Die Passito- und Ripasso-Methoden haben sich schließlich durchgesetzt: Die Passito mit dem Recioto della Valpolicella und Amarone della Valpolicella, der Ripasso mit dem Valpolicella Ripasso.
Der von den Winzern des Valpolicella ausgebaute Amarone ist eine italienische Wein-Legende mit den Dimensionen einer Grand-Opéra. Obwohl eigentlich alles ganz einfach sein müsste: Amarone della Valpolicella ist trockener, intensiver, schwerer Rotwein, der aus getrockneten Trauben gemacht wird, woraus sich sein typischer Passito-Charakter ergibt. Es ist nicht nur der berühmteste und kostbarste Wein der Region, sondern neben dem Brunello di Montalcino und dem Barolo der renommierteste Wein Italiens und einer der intensivsten Rotweine der Welt.
Für den Amarome werden die autochtonen Rebsorten Corvina und Corvinone, Rondinella sowie Oseleta oder Rossignola verwendet. Von diesen ist allenfalls die Corvina in der Lage, von sich aus körperreiche Weine zu liefern, weshalb sie auch in manchem Amarone reinsortig verwendet wird. Die Rondinella trägt Farbintensität, Körper und Säure bei. Beide Rebsorten haben Trauben mit dicker Haut, die prädestiniert sind für die Strapazen des Trocknungsprozesses.
Der Amarone Stil hat sich entwickelt, weil die Weinbauern des Veneto nach einer Methode gesucht haben, den Körper, die Komplexität und den Alkoholgehalt ihrer Weine zu steigern. Am Anfang sind da allerdings süße Weine herausgekommen, die heute noch als Recioto della Valpolicella auf dem Markt sind. Die voluminösen, „bitteren“ Süßweine hingegen wurden „amaro“ genannt und einst als fehlerhaft und misslungen angesehen, bis sich eine überraschende Nachfrage entwickelte.
Um dem Amarone von Anfang an die Chance einer langsamen Beerenreife mit einer guten Balance aller Inhaltsstoffe zu geben und die Mostgewichte nicht von vornherein zu übertreiben, werden die für den Wein verwendeten Trauben weniger an sonnendurchströmten Südhängen, sondern vorzugsweise an östlich ausgerichteten Hängen angebaut.
Wichtig ist in den ersten Wochen, dass die Stiele abtrocknen, damit der Schimmelbildung vorgebeugt wird. In den traditionellen Familienbetrieben wird jede Traube vorsichtig neben die andere geschichtet, immer wieder gedreht, jede beschädigte weggezupft, nur so verhindert man Schimmelbefall. Zwar erscheinen auf den Trauben später weißliche Punkte, das ist aber keineswegs der von der Botrytis bekannte Grauschimmel. Damit kennt man hier auch nicht die von der Botrytis hervorgerufene zweifelhafte Aromatik, wie sie in deutschen Trockenbeerenauslesen zu finden ist. Wenn Herbst und Winter extrem feucht sind, ist das Verlustrisiko durch verfaultes oder unbrauchbares Traubengut enorm hoch. Berücksichtigt man, dass durch die Trocknung ohnehin ein Gewichtsverlust von 30 bis 50 Prozent eintritt, wird im Ergebnis 70 bis 40 Prozent weniger Wein als von ungetrockneten Trauben erzielt.
Um das Risiko größerer Verluste bei der Amarone-Herstellung zu mindern, setzen die Winzer moderne Trocknungstechnik ein. Das sichert das Überleben der Trauben im Trocknungsprozess, die dann nahezu sämtlich zur Amarone-Produktion zur Verfügung stehen. Mit dem Einzug der maschinellen Trocknung hat auch die Produktion von Amarone in der Ebene außerhalb der traditionellen Hügelzone des Valpolicella zugenommen.
Die Kunst des Amarone ist aber nicht nur die Anwendung der richtigen Technik. Seit Generationen werden die Tricks und Geheimnisse der Produktion des Amarone weitergegeben. Er ist eben eine Abbildung der Tradition der Winzerfamilien und der Region. Daher müssen Familien hinter den Weingütern stehen, keine Industrieunternehmen.
Die Preissetzung führt seit Jahren zu Auseinandersetzungen zwischen den Qualitätswinzern, den Genossenschaften, einigen Verbänden und dem Konsortium, das bereits mit befristeten Pflanzungsstopps für neue Weinberge und Absenkung des Höchstertrags pro Hektar von 5.000 kg auf 4.500 kg pro Jahr reagiert hat. Zudem versucht man durchzusetzen, dass maximal die Hälfte der Ernte für den Ausbau von Amarone verwendet werden darf. Angefangen hatte das übrigens in den 70er Jahren mit nur 5 % der Ernte. Als einzig reelle und effiziente Maßnahme zur Kontrolle der Amarone-Produktion fordert Giampaolo Speri vom Verband Amarone Family seit langem, ein Weinbergregister für den Amarone einzuführen.
Immerhin gibt es nicht von der Hand zu weisende Befürchtungen, dass bei weiterem unkontrollierten Wachstum der Anbauflächen und der Produktion ein abrupter Preisverfall durch Preisdrücker drohe, der zu enormen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei den Winzern der gesamten Region führen könnte. Außerdem stellt sich die Frage, woher den Bedarf an Rebflächen nehmen, die notwendig sind, um die exzessive Nachfrage zu decken. Das Amarone-Konsortium hat 2013 kurzerhand die ohnehin schon ausgedehnte Produktionszone um 30 % erweitert, womit allerdings überwiegend noch mehr verpönte Flachlagen in der Ebene hinzugekommen sind, die für die Billig-Amarones genutzt werden. Ein weiterer permanenter Streitpunkt ist die Regelung, dass bis zu 25% internationale Rebsorten in den Cuvées verwendet werden dürfen, was die lokale Identität des Weins in Frage stellt.
Mit den Querelen tut sich aber auch eine andere, finstere Seite der extensiven Amarone-Produktion auf, nämlich der Verlust der Authentizität des Amarone durch den bedenkenlosen Umgang mit der Technik: Künstlich getrocknete Trauben müssen weitgehend ohne die physikalischen, mikrobiologischen und biochemischen Kettenreaktionen, die die natürliche Feuchtigkeitstrocknung und die Tag-Nacht- Temperaturunterschiede initiierten, auskommen. Den Weinen könnte damit der vielschichtige Passitocharakter fehlen oder er kann weniger stark ausgeprägt sein. Zwar hindert die Technik die Trauben nicht daran, auf die verlangten Alkoholwerte zu kommen, starke Frucht, Farbe, Säure und Tannine auszubilden und hoch konzentriert zu sein. So steigt beispielsweise der Zucker- und damit auch der Alkoholgehalt von rund 11 Volumenprozent auf 14 bis 16 Volumenprozent oder sogar mehr, und zwar ohne Zugabe von Brandwein. Während des Trocknungsprozesses schrumpft der unbeliebte Apfelsäure-Anteil im Wein um 70 % während die willkommene Glyzerinkomponente zunimmt, was den Wein letztendlich weicher macht.
Nach der appassimento werden die Trauben frühestens im Januar oder Februar schonend gepresst und in der Regel etwa eineinhalb Monate im leicht gekühlten Stahl, oft in modernen Rotationstanks vergoren. Zur Gärung sind spezielle Hefen notwendig, die nicht wie die meisten hierzulande verwendeten Hefen ihre Tätigkeit aufgeben, wenn 15 % Alkohol erreicht sind oder statt dem brauchbaren Äthylalkohol nur noch Essigsäure produzieren. Nach der Gärung kommt der Wein mindestens zwei Jahre in große oder kleine Eichenfässer. Hier spielen sich die entscheidenden Szenen ab. Der die Fässer durchdringende Sauerstoff wird von den Phenolen im Wein und den Tanninen im Holz verzehrt. Danach sorgt der entstehende Äthylalkohol für die Einbindung der Tannine im Wein und für die Stabilität der Farbkomponenten. Das Holz des Fasses gibt außerdem einen bestimmten Süßstoff und die bekannten Aromen ab, die von Vanille über Holztöne bis Kokosnuss reichen. Es folgen das finale Blending und die weitere Reifung mindestens eineinhalb Jahre im Holzfass, dann noch die Ruhezeit in der Flasche für sechs Monate. Frühestens im dritten Jahr nach der Ernte darf der Amarone in den Verkauf gebracht werden. Die meisten Qualitäts-Erzeuger lassen den Wein jedoch länger als vorgeschrieben drei Jahre im Keller reifen, teilweise überschreiten sie die Mindestreifezeit dabei um mehrere Jahre.
Dass im Valpolicella abseits der verrufenen Tafelweine, mit der die Pizza runtergespült wird, viele Familienbetriebe neben dem Amarone auch andere hochwertige Weine machen, wird oftmals leider gar nicht mehr wahrgenommen. Sofern wir uns nur auf den roten Bereich beschränken, sind die wohlschmeckenden, dichten Valpolicella-Cuvées und der Ripasso und der süße Recioto hervorzuheben.
Die Valpolicella-Cuvées werden immer auf der Basis von Corvina und Rondinella-Reben ausgebaut. Die Corvina ist für ihre Säure und Sauerkirscharomen bekannt, hat aber wenig Tiefe und erreicht selten eine Opulenz. Damit ähnelt sie in gewisser Weise der Gamay-Traube. Rondinella wird in erster Linie verwendet, um Farbe und Körper zu erhalten und Kräuternoten zu ergänzen. Die Rondinella war in den 1960er und 1970er Jahren wegen ihrer großzügigen Erträge beliebt, während die blasse, stark säurehaltige und oxidationsanfällige Molinara sich nicht lange gehalten hat und heute nicht mehr Bestandteil der Cuvées ist. Stattdessen ist die Orseleta in die Cuvées gelangt, eine dunkle Traube, die sehr kleine Beeren hat mit einer enormen Extraktkonzentration, aber auch einem sehr hohen Säurespiegel. Des Weiteren ermöglicht der Valpolicella-DOC bis zu 15% andere rote Rebsorten aus der Provinz von Verona, darunter Rossignol, Negrar Trentino, Barbera und Sangiovese. Ein gut gemachter Valpolicella ist keiner der industriellen Billig-Jämmerlinge. Den hochwertigen Valpolicella genießt man als jungen, vollfruchtigen, knackigen Wein mit erfrischender Säure und kernigen Gerbstoffen.
Neben dem Amarone und dem Valpolicella ist der Ripasso eine weitere Spezialität des Anbaugebiets. Die cleveren italienischen Winzer haben nämlich die mühsame Produktion des Amarone genutzt, um die glücklich durch die Trocknung gebrachten rosinenartigen Trauben nach der Pressung einer weiteren, sinnvollen Verwendung zuzuführen. Der verbleibende Trester ist vor allem aufgrund der schonenden Pressung der Amarone-Trauben noch sehr gehaltvoll. Tropfnass dient er für den Ripasso, während woanders daraus ein Grappa gebrannt wird. Dem Ripasso-Stil wurde 2007 ein eigener DOC-Titel gewährt. Die Ripasso Methode ist die "Re-Pass" (re-Gärung) der passito Trauben mit „normalem“ Valpolicella Wein aus Corvina, Corvinone und Rondinella. Das heißt, ein Teil des „normalen“ Valpolicella-Weins wird auf den Amarone-Trester gepumpt und gärt dort für kurze Zeit ein zweites Mal, wobei der Restzucker in den Schalen zu Alkohol wird und mit den Tanninen und Phenolverbindungen in den Wein übergeht. Der dann entstehende Wein ist grundsätzlich tanninreicher, kräftiger, robuster. Er liegt quasi in der Mitte zwischen dem „Single“ Valpolicella und dem Recioto bzw. Amarone und wurde deshalb früher auch als „mezzo recioto“ bezeichnet. Heute haben wir einen Ripasso-Boom, denn je mehr Amarone-Trester anfällt, desto mehr Ripasso kann produziert werden. Das kann leicht dazu führen, dass der Ripasso zum charakterlosen Recycling-Produkt verkommt. Vor allem, wenn er als zweiter Aufguss verwendet wird, um schwache Valpolicella-Weine mit spröden Tanninen aufzumotzen und für das Budget zu vergolden.
Die 2009 gegründeten AMARONE FAMILIES wollen den Amarone als eine kostbare, exklusive Marke schützen und ihn auf den internationalen Märkten fördern. Die inhabergeführten Betriebe setzen sich für strikte Qualität ein, um die Authentizität und Exklusivität dieses Weines auf hohem Niveau zu bewahren. Deshalb haben sie für sich strengere Qualitätskriterien vorgeschrieben als es das Gesetz und das DOC-Disziplinar vorsehen. Die Zugehörigkeit zu der exklusiven Vereinigung wird für die Endverbraucher mit einem eigens dafür entwickelten Logo auf dem Flaschen-Etikett ersichtlich. Am 7. Mai 2012 haben sich die Weingüter der Amarome Family in Berlin vorgestellt ( siehe Foto mit Dr. Priewe und Sandro Boscaibi).
Im Hörerlebnis erfahren Sie vom Weinexperten und Autor Dr. Jens Priewe alles über den Amarone und den Verband AMARONE FAMILIES.
Fotos: © D.R.
Landschaftsfotos: © Tedeschi
HÖRERLEBNIS mit Dr. Jens Priewe
Downloads
➭ alles über die Weine und
die Azienda Tedeschi
➭ alles über die Weine und
die Tenuta Sant’Anonio
➭ alles über die Weine und
die Azienda Speri
➭ alles über
die Amarone Families
➭ alles über die Weine und