Wenn die Böen brüllen oder ein eisiger, leiser Hauch über den Strand gleitet. Wenn man tief durchatmen kann, frei und frisch. Wenn der Sand nicht nur knirscht, sondern knistert. Und wenn das eigenartige Lichtes fantastische, fast feierliche Stimmungen erzeugt. Wenn nicht nur das Meer glitzert, sondern nach einer frostigen Nacht auch das Land nebenan. Dazu: Innere Ruhe, Abstand und Stille. Das ist der Winter an der Nordsee. Magische Eindrücke und das Aufwärmen in der guten Stube danach. Die Behaglichkeit.
Besonders eine Wattwanderung ist im Winter ein Erlebnis für alle Sinne. „Bei entsprechender Witterung ist die Luft im Winter besonders klar und du hast das Gefühl, in einer unendlichen Leere unterwegs zu sein. Auch das Licht ist anders, es scheint zu strömen und zu fluten - fantastisch!“, sagt Wattführer Johann-Peter „Jan“ Franzen. Zwischen den Buhnen bei Büsum haben die Gezeiten Eisgries zusammengeschoben – ein arktischer Eindruck und eine ästhetische Reduktion auf Schwarz und Weiß. Unter dem Winterhimmel breitet sich das Dithmarscher Watt aus, scheinbar noch leerer und einsamer als im Sommer.

Der Kompass führt Jan Franzen sicher und weiter hinaus, tiefer hinein in diese wundersame Welt – Scholl-Loch, Ossengot, Norderpiep heißen die Priele. Ein kleiner, seichter Wasserlauf wird durchquert und dann steht man auf einer flachen Sandbank. Zurück geht es durch knietiefen Eisgries, alles sieht aus wie eine irre Illusion. Ist aber echt und anstrengend. „Gleich ist es geschafft Leute. Und dann fahren wir zu Bärbel ins Gasthaus – dort wartet schon Grünkohl mit Kassler, Kochwurst und karamellisierten Kartoffeln. Und ein warmer Ofen. Das haben wir uns doch wohl verdient! Oder?“
Auch wenn man nicht durch das Watt wandert, ist die Nordsee im Winter auf eine unvergessliche Weise einzigartig, egal ob an der Küste oder auf den Inseln.
Der Blick von der Insel Föhr aus reicht über das Meer hinüber nach Amrum, dort liegt vor dem wilden Wintermeer ein riesiger Strand. Im Winter ist dieser Sand die ultimative Einsamkeit und Wildheit, da draußen, ganz weit weg. Amrum wird durch einen mächtigen Dünenwall vor der Nordsee geschützt: Zwischen den Dünen und der Nordsee liegt der Kniepsand. Eine gigantische Sandfläche, eine Wüste am Wasser, in der es manchmal sogar schneit. Endlos schlagen die Schritte in den Sand; erst durch die Hohlwege in der Dünenlandschaft, dann durch die Ebene des Kniep. Der Wind türmt in ewiger Abfolge kleine Sanddünen auf die Fläche, dahinter nun kleine Schneeverwehungen. Das ferne Grollen der Nordsee ist schon beim Abstieg durch die Dünen zu hören, dann plötzlich schmeckt man das Meer und spürt es.
Sand jagt gemeinsam mit Schnee in Schlieren vorüber – hier draußen herrschen Einsamkeit und Wind und eine völlig surreale Atmosphäre. Ungefähr in der Mitte liegt ein Dünenfeld auf dem Kniepsand, es gehört nicht zur Dünenkette, die Amrum im Westen abschließt. Anfangs nur mit dem Fernglas zu erkennen, heben sich die Dünen zögerlich unter dem Wind empor. Vielleicht holt sich die Nordsee dieses Land im nächsten Wintersturm schon wieder.


Winterwanderungen am Strand führen oft zu einer Losgelöstheit: ist es die Leere, ist es das besondere Licht? Die Klarheit und die Reinheit? Alles zusammen? Oder liegt es daran, dass die Gedanken in dieser Aufgeräumtheit plötzlich Platz haben, zu fliegen? Liegt es an einer selten erlebten Unbeschwertheit und Leichtigkeit? Oder sind es – neben der Stille und Aufgeräumtheit – die ungezähmten Naturgewalten, wenn das Meer tobt und kracht und man selbst allenfalls eine Randnotiz ist und Spielball im Wind? Am winterlichen Strand findet sich etwas, das unbezahlbar doch völlig kostenlos ist: Ruhe. Auch innere. Und überhaupt: Das kann man aushalten. Es nennt sich Freiheit.