An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Wein- und Sektgut Barth im Rheingau: mit genialen handwerklichen Fähigkeiten, familiärem Zusammenhalt und ökologischer Kompetenz in die Spitze der deutschen Sektkultur
1.200-mal schafft es der Rhein auf seinem Weg von den Schweizer Alpen bis zur Nordsee die Strecke eines Kilometers zu durchqueren. Stets nimmt er den kürzesten Weg und richtet sich deshalb von Nord nach Süd aus. Doch hinter Mainz gefällt ihm die Landschaft so gut, dass er länger verweilt und deshalb bis Bingen zu einer langgestreckten Kurve ausholt: Ein einziges Mal fließt er nun über 35 km von Ost nach West. Damit eröffnet er im breiten, durch das Mittelgebirge Taunus vor zu starkem Niederschlag geschützten Tal lichtdurchflutete und sonnenverwöhnte Südhänge, die zum Weinbau geradezu einladen. Schon vor Jahrhunderten etablierte sich deshalb in diesem Bereich eine der bekanntesten Weinregionen der Welt: der Rheingau.
Inmitten des Rheingaus und etwa auf der Hälfte der Rheinkurve liegt der kleine Ort Hattenheim, der seit 1972 einen Ortsteil von Eltville bildet. Hier ist der Rhein bereits bei durchschnittlichem Wasserstand knapp einen Kilometer breit. Nur etwa hundert Meter vom Rhein entfernt am Ende des Bergwegs und direkt an den Weinbergen liegt das Wein- und Sektgut Barth – eines der bekanntesten und renommiertesten in deutschen Weinlanden.
Nun nahte die nächste Generation, die sich der Wein- und Sektherstellung zuwandte: Christine Barth, Enkelin von Johann Barth und Tochter von Norbert und Marion Barth, steigt nach ihrem Studium und ihrem Aufenthalt in Amerika in das Weingut ein. Sie hatte in Kalifornien zwei Jahre lang das Marketing des weltberühmten Weinguts Gallo gemanagt. 2010 heiratete sie ihre Jugendliebe, den Önologen Mark Dunn, und zog ihn in das elterliche Weingut hinein. Er hatte in Geisenheim studiert und ein Praktikum in Südafrika gemacht, was sich später in einer ganz besonderen Verbindung auswirken sollte. Die dritte Generation mit Mark und Christine Bark setzte jede Menge innovative Ideen um, ohne Norbert und Marion außen vorzulassen. Abgesehen von neuen Etiketten und dem Umbau des Barriquekellers war die epochalste Neuerung die Umstellung des Betriebs auf ökologischen Weinbau, was 2013 zertifiziert wurde.
2020 übergibt Norbert Barth nach 47 Jahren die Verantwortung im Wein- und Sektgut an seinen Schwiegersohn Mark Barth und seine Tochter Christine. Wieder einmal wird ein traditionsreicher Familienbetrieb erhalten, der nun beruhigt nach vorne schauen kann, nicht zuletzt in Richtung 4. Generation. Norbert und Marion schauen nach wie vor mit – Norbert bietet seine Erfahrung im Weinberg wie im Keller an und Marion pflegt weiterhin das wichtige Büro, womit sie der Familie zugunsten des Wein- und Sektmachens den Rücken freihält.
Das Wein- und Sektgut Barth bewirtschaftet heute über 20 Hektar Rebfläche und kommt auf eine Jahresproduktion von bald 140.000 Flaschen. Alle Weine und Sekte sind bio und vegan. Zum Betrieb gehören Lagen wie Hassel, Wisselbrunnen und Schützenhaus in Hattenheim, Jungfer, Hendelberg und Schönhell in Hallgarten und Lenchen und Doosberg in Oestrich-Winkel. Es sind weltberühmte Traditionslagen darunter und solche, die als VDP.ERSTE LAGE® und VDP.GROSSE LAGE® höchstklassifiziert sind. Das Einzigartige und überaus Wertvolle an dieser Lagen-Vielfalt ist nicht zuletzt ihre Boden-Vielfalt. Selbst Weinberge in einer Ortschaft weisen im Rheingau teilweise so verschiedene Böden auf, dass sie den Weinen ganz unterschiedliche sensorische Eigenschaften von Eleganz, Mineralik, Vollmundigkeit oder Körper mitgeben. Die Böden reichen von kiesigem oder tiefgründigen Löss-Lehm – wie im Hattenheimer Hassel – über Quarzit, Ton oder schwerem Tonmergel – wie im Schönhell in Hallgarten – bis hin zu Verwitterungsböden mit Buntschiefer.
Im Keller hat schon Norbert Barth ständig für neue Technologie gesorgt, so dass seit Jahren zum Standard gehört, was woanders noch umständlich bedacht wird: die Temperatursteuerung der Gärung, die schonende Verarbeitung mit Ganztraubenpressung und der Einsatz eigener Weinberghefen, die den Most ohne Zeitdruck in Wein verwandeln können. Da darf so mancher Spitzenweißwein schon mal länger als ein Jahr auf der Hefe liegen, ganz zu schweigen davon, dass die Rotweine über Jahre im großen Holzfass oder in Barriques reifen. Konsequent setzt Familie Barth die Erkenntnis um, dass die Arbeit im Keller das, was die Natur den Trauben mitgegeben hat, nur begleiten, aber nicht zerstören darf.
Längst ist auch in die Sektherstellung eine ständig durch Innovationen vorangetriebene Routine eingekehrt, zu der es nach wie vor gehört, dass eine Flasche im Zuge der traditionellen Flaschengärung zweimal täglich auf dem Rüttelpult von Hand gedreht wird. Jede Flasche wird zum Unikat und bis zur Fertigstellung ungefähr 55-mal mit der Hand betreut. Die Sekte lagern mindestens 24 Monate auf der Hefe, einige sogar bis zu zehn Jahren.
Die Weine sind in die Qualitätspyramide des VDP eingestellt als Ortsweine, Gutsweine und Lagenweine mit den Spitzen VDP.ERSTE LAGE® und VDP.GROSSE LAGE®. Die entsprechende Lagenklassifikation wird auch für die Sekte verwendet, die mittlerweile 40 % des Sortiments ausmachen. Der Betrieb ist Mitglied im „Verband Traditioneller Sektmacher“, bei „Charta Rheingau“, bei „Ecovin“ und bei „Wein in Moderation“.
Dass sie als kleines Familienweingut mit den Sekten schon bald die von wenigen Betrieben besetzte oberste Spitze der deutschen Sektgüter erreichte und nach wie vor einige der besten Sekte Deutschlands herstellt, war fast vorgezeichnet, weil sie schon immer die Qualität ihrer Weine hochgehalten hatte. Denn bekanntlich beginnt die Einzigartigkeit des Sekts mit der Einzigartigkeit der Weine. Hier kann sich Familie Barth für ihre Kunst des Wein- und Sektmachens auf das ganz besondere Terroir ihrer Lagen stützen, das ihre Weine prägt. Auch wenn ein Schaumwein niemals besser sein kann als der Grundwein, aus dem er gemacht wird, kann der Sekt gleichwohl einen zusätzlichen individuellen Ausdruck erlebbar machen.
Gerade darauf konzentriert sich Mark Barth, der nicht nur für Christine, sondern auch für den Betrieb ein Glücksfall ist, hat er sich doch von Anfang an – gestärkt durch den Titel „Der Riesling-Meister“ – zum Pionier des Lagensekts entwickelt. Das hat er nicht zuletzt seinem Geisenheim-Professor Wolfgang Pfeifer zu verdanken, der lehrte, worauf es bei der Schaumweinherstellung ankommt, wenn man höchste Ansprüche an die Qualität verlangt. Demgemäß trug Mark als stellvertretender Vorsitzender des VDP-Regionalverbands Rheingau maßgeblich dazu bei, dass auch Sekte nach der Pyramide des VDP klassifiziert werden und der VDP 2018 eine eigenes Sektstatut aufstellte.
Weiterhin arbeitet Mark Barth unverzagt daran, dem erstklassigen Winzersekt in Deutschland vor allem als Riesling-Sekt generell ein höheres Image zu verschaffen, damit er irgendwann einmal zu Recht neben oder sogar über Champagner gestellt wird. Dazu reicht zwar der seit einigen Jahren hierzulande entstandene allgemeine Sekt-Boom nicht aus, aber die international zunehmende Nachfrage nach Winzersekt aus Deutschland stimmt zuversichtlich. Schließlich arbeitet inzwischen eine neue Generation von Winzerinnen und Winzern im Keller, die mit Enthusiasmus und Engagement die Herausforderung annehmen, mit dem aufwendigsten und anspruchsvollsten Verfahren der traditionellen Flaschengärung eigene Sekte zu machen, die gerade beim Riesling wie bei keiner anderen Rebsorte ihre Herkunft offenbaren.
Familie Barth trägt seit vielen Jahren die Wein- und Sektkultur des Rheingaus erfolgreich in die Welt hinaus: Der Export reicht über europäische Länder wie die Niederlande, Norwegen, Finnland oder Polen hinaus bis weit nach Asien. Familie Barth hat zudem ihre vielseitigen Beziehungen zum Weinland Südafrika aufrechterhalten. Es gibt ein Joint-Venture mit Norberts Cousin Paul Barth, der 2018 in Stellenbosch das Weingut Kunjani-Wines mit Cottages, Verkostungsraum und Restaurant gegründet hat und hochwertige Shiraz-Weine macht, von denen einige auch im Shop der Barths angeboten werden. Paul Barth hatte schon Jahre zuvor zusammen mit Mark Barth und Alexander Jung einige Flächen in den Winelands von Stellenbosch als Hobby bewirtschaftet und den vielbeachteten Wein Howzit Shiraz! auf den deutschen Markt gebracht, der mit "Hallo, wie gehts!" auf Zulu begrüßt.
Wer etwas abhaben möchte vom legendären Ruf des Wein- und Sektguts Barth, kann einen Rebstock in der Spitzenlage Schützenhaus in Hattenheim als Pächter erwerben. Er erhält eine Besitzurkunde und jährlich die daraus gemachte Flasche Wein oder Sekt. Wenn Sie im Rheingau sind und die (baulich) schräge Vinothek der Barths besuchen, können Sie auch einen Sabrierworkshop belegen, um zu erlernen, wie man eine Sektflasche mit dem Säbel öffnet und der Inhalt gleichwohl artig in die Sektgläser gelangt. Man darf sich dann wie bei Pirates of the Caribbean fühlen, wenn der obere Teil des Flaschenhalses samt Korken aufgrund des abrupt freigesetzten Flaschendrucks abgetrennt wird.
Wir konnten drei Weine und drei Sekte aus dem Wein- und Sektgut Barth verkosten.
2022 Hallgarten Riesling trocken VDP.Ortswein
Der Hallgartener Ortswein ist ein kühler, leiser Tiefstapler im Riesling-Programm von Familie Barth. Er schickt feine, präzise Aromen aus dem Glas: gelbe Früchte mit Birnen und ein Touch von Grapefruit und Limonen. Eine leichte Würze und mineralische Anklänge verbreiten sich in der Nase. Geschmacklich imponiert die frische, sortentypische Rieslingfrucht, die immer klar und geschliffen bleibt und nie in aufdringliche Üppigkeit oder gar Schwere verfällt. Die aktive Säure ist ordentlich untergebracht und stützt den straffen, saftigen Nachhall, der durch eine deutliche Mineralik der leicht salzigen Art und durch eine herrliche Schmelzigkeit zum fröhlichen Trinkfluss inspiriert. Ein harmonischer und zugleich distinguierter Wein, wie er im Einstiegsbereich selten zu finden ist. Holen Sie ihn gut gekühlt aus der Box als erstklassigen Picknickwein.
2021 Riesling Charta
Im Glas fällt der Charta-Riesling gleich durch seine helle goldgelbe Farbe auf. Er lockt vorsichtig mir einer heiteren Aromatik von Pfirsichen, Aprikosen, Zitrusfrüchten, reifen roten Äpfeln und einigen floralen Anklängen. Im Mund präsentiert er sich hell und klar, schlank und griffig. Mit seiner brillanten Frucht, seiner klaren Transparenz, seiner lebendigen Säure und seiner kühlen, erdverbundenen Mineralität betreut er den Gaumen mit einer Ambivalenz zwischen herben und herrlich restsüßen Tönen bis in den langen saftigen Abgang. Er ist ein leichtfüßiger Begleiter und immer bereit, wenn ein Riesling zu einer Speise hermuss. Überraschen Sie sich und den Charta-Riesling extravagant mit meersalzgewürzten Backkartoffeln mit Speck und kross gebratenen Streifen von Schweinebauch. Aber erschrecken Sie ihn trotz seines kleinen Süßeschwänzchens nicht mit asiatischen Normalitäten.
2021 Hattenheimer Schützenhaus Riesling trocken VDP.Erste Lage©
Der Hattenheimer Schützenhaus Riesling lädt ein mit einem mineralitätsbetonten, leicht reduktiven Bukett mit Birnen, jungen gelben Pflaumen, etwas Zitronenmelisse und einer überraschenden, beim Riesling gleichwohl nicht ganz ungewöhnlichen Ahnung von schwarzen Johannisbeeren. Am Gaumen kommt er dann temperamentvoll an, expressiv, delikat, energisch. Er ist gradlinig strukturiert und transportiert mit einer bemerkenswerten Dichte und Festigkeit fruchtige Noten von roter Grapefruit und etwas Zitronengras, umhüllt von exotischen, ja sogar schmelzig-nussigen Tönen. Die reife Säure ist schlank und lebendig und bewahrt die klare Präzision des Weins. Dazu passt seine charaktervolle Mineralität. Er präsentiert sich filigran, gediegen, ohne jede opulente Schwere, aber mit einer tiefgründigen Finesse und einer gewissen Würze im Finale. Der Wein ist ein großer Wirker, wenn Sie ihn stilistisch überraschend als Aperitif reichen. Er ist ein galanter Begleiter, wenn Sie ihn ganz einfach mal einer Poularde aus dem Rohr aufdrängen. Sie können ihn übrigens auch noch als Jahrgang 2001 aus der Schatzkammer von Familie Barth bekommen.
Rheingau Riesling Extra Brut
Der Rheingau Riesling Extra Brut präsentiert sich im Glas in einem wertigen Weißgold mit lebendiger, feiner Perlage. Er duftet intensiv und frisch nach weißen Pfirsichen, Aprikosen, Hawaii-Ananas und einem leichten Touch von Zitrus und Kräutern mit einer floralen Abrundung. Alles wird von einer angenehm mineralisch-knackigen Frische begleitet. Am Gaumen fällt seine kühle, präzis-gradlinige Fruchtigkeit mit Zitrus, reifem grünen Apfel und Weintrauben auf, vollmundig und würzig. Die Säure ist quicklebendig und trägt vor dem Hintergrund der feinen Perlage zusammen mit der prägnanten Mineralität den erfrischenden, leicht würzigen und leicht herben Abgang. Die Versanddosage war offenkundig so punktgenau eingestellt, dass die Frische der Frucht nicht in einer unangemessenen Restsüße untergeht. Alle sensorischen Nuancen kooperieren in einem festen Körper. Das ist der noble Traditionssekt für den bewussten Rheingau-Genuss. Er beeindruckt als herausragender Solist bei jedem festlichen Empfang.
Rheingau Pinot Blanc brut
Klar und weißlich leuchtend schimmert der Pinot Blanc im Glas und perlt anhaltend und fein. Er verbreitet ein zärtliches sommerliches Flair von weißen Blüten und weiß- und gelbfruchtigen Tönen von Apfel, Quitte und Birne nebst einem Hauch von Akazie, Futuromelone und Limette. Am Gaumen sammelt sich eine weiche Fruchtigkeit von gelben und grünen Birnen und Äpfeln, die von erstaunlich markanten Vanillearomen umrahmt werden. Der schön schmelzige Abgang wird von einer adretten kleinen Restsüße und einer bemerkenswert lebendigen Säure unterstützt, die zusammen mit der nahezu filigranen Mineralität den nachhaltigen Eindruck der saftigen Frische vermitteln. Das ist ein vielschichtiger Pinot Blanc mit einer ausgesucht cremigen Textur, der hervorragend ausbalanciert ist und eine feine Eleganz vermittelt. Er ist der geborene Aperitif beim Dinner for Two oder for mehrere, er ist aber auch der perfekte schäumende Begleiter einer geräucherten Lachsforelle oder eines Tafelspitz-Gerichts.
2017 ULTRA Pinot Brut Nature
Jetzt haben wir einen gigantischen Spitzensekt aus dem Wein- und Sektgut Barth im Glas, einen Titanen sozusagen. Der Grundwein ist ein Blanc de Noir aus Spätburgunder, der als Pinot Noir bekanntlich auch in den Champagner kommt.
Im Glas tritt der Sekt feinperlig auf und geriert eine weißliche, nachhaltige Mousse. Duftig, kühl und intensiv ist der erste Eindruck in der Nase. Feine, dichte Fruchtaromen von roten Äpfeln, reifen Stachelbeeren, von einigen roten Johannisbeeren und winzige vegetabile Töne wehen mit einer leichten Anmutung von Brioche aus dem Glas. Der Gaumen wird verwöhnt von der filigranen Burgunder-Stilistik und von der beindruckenden Balance zwischen frischer Säure, roter und gelber Frucht und einer ausgeprägten Cremigkeit mit wahrlich trockenem Charakter. Aus diesem cremigen, filigranen, festen Körper voller Tiefe und nahezu geheimnisvoller Struktur bezieht er seine Kraft und Fülle und spielt locker in der Über-Champagner Klasse. Servieren Sie ihn in einem großen Weißweinglas, damit er seine Eigenarten freigiebig entfalten kann. Ein Sekt für Genießer – gerne auch für sinnliche Abende oder etwas unromantischer zu einem klassischen Rindersaftbraten an Sahnesoße oder gar zu einem Dessert von frischen Erdbeeren.
18.04.2024
Fotos: © Wein- und Sektgut Barth