An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Karlo Dillmann im Rheingau: Zwei Brüder unterm Sternenhimmel
Der Rheingau ist eine der berühmtesten Landschaften der Weinkultur in der Welt. Selbst wenn hier nur rund drei Prozent des Weins in Deutschland produziert werden, so kommen seit Jahrhunderten Weine aus dem Rheingau, die den Ruf des deutschen Weins als „Rheinwein“ geprägt haben. Am Anfang dieses Erfolgs stand ein urzeitlicher Schwenk des Rheins, den das Rheingaugebirge gezwungen hat, es auf einer Länge von rund 35 km in einer ost-westlichen Richtung zu umfließen. Dadurch entstanden die berühmten Südlagen, die der bis zu 880 m hohe Taunus vor kalten Nordwinden schützt, und die von der Sonnenreflexion des Flusses profitieren. Obendrein hat die geologische Positionierung vor zig Millionen Jahren zu einer umsichtigen Verteilung von Schiefer, Quarzit, Sandstein, Löss und Kalk geführt, der die Rebstöcke heute verwöhnt. Die Feststellung, dass der 50. Breitengrad den Rheingau hindurchzieht, irritiert eher, trifft der doch klimatisch auch völlig anders strukturierte Gebiete wie Kasachstan oder das kanadische Vancouver. Hierzulande erstreckt sich das Weinanbaugebiet Rheingau von Lorchhausen im Westen bis zu Flörsheim im Osten und im Norden bis an die waldreichen Höhenzüge des Taunus. Der Rheingau schließt aber auch Rebflächen in Wiesbaden und am nördlichen Mainufer zwischen Flörsheim und der Mainmündung ein. Wenn man konstatiert, dass der Ruf des deutschen Weins in aller Welt vor allem an den Riesling anknüpft, so erklärt sich die Bekanntheit der Rheingau-Weine auch von daher. Noch heute wird hier auf der Gesamtrebfläche von 3.100 Hektar zu etwa 80 % Riesling angebaut. Weniger bekannt ist, dass die rheingauer Rebflächen zu rund 12 % auch mit Spätburgunder bestockt sind.
Sohn Marcel schickte sich an, die Zukunft des Familienbetriebs zu sichern. Er absolvierte zunächst eine dreijährige Ausbildung zum Winzer an der Technikerschule für Weinbau und Oenologie und gründete nebenbei das Startup Winery Service, das die Bewirtschaftung von Rebflächen anbot. 2014 machte Marcel seinen Abschluss und ließ den Riesling im Keller rocken, als er offiziell in das Weingut eintrat. Mittlerweile hat auch Sohn Marius mit seinem sportwissenschaftlichen Master of Science die Kommandobrücke im elterlichen Weingut geentert. Seine sportliche Ausrichtung kommt weiterhin mit der Trikot-Nummer 16 im Mittelfeld der WEINELF zur Geltung, zuletzt als Mitglied des Kaders der Europameisterschaft VINEURO. Marcel und Marcus Dillmann haben sich als Jungwinzer der Bewegung GENERATION RIESLING angeschlossen.
Zum Weingut Karlo Dillmann gehören heute 8 Hektar Rebfläche in den Lagen Kläuserweg, Rothenberg und Mäuerchen in Geisenheim, Magdalenenkreuz, Berg Roseneck und Berg Rottland in Rüdesheim, Jesuitengarten und Hasensprung in Winkel sowie Goldatzel in Johannisberg. Angebaut werden zu 70% Riesling, zu 15% Spätburgunder und zu 15% weitere Rebsorten, insbesondere Weißer und Grauer Burgunder, Frühburgunder, Dornfelder, Merlot und seit 2013 auch Muskateller. Gut zwei Drittel der Weine wiederum sind trocken ausgebaut, 20 % feinherb und 10 % süß und edelsüß. Neben den Stillweinen wird auch Sekt gemacht. Im Weinberg wird den Richtlinien des integrierten Weinbaus gefolgt. Die Dillmänner möchten, dass die Rebstöcke alles abliefern, was die Natur ihnen mitgegeben hat. In den Rebzeilen wird blühende Begrünung eingesät, der Boden wird von Herbiziden verschont und mit eigenem Kompost verwöhnt. Die Reben bekommen stets eine schonende Behandlung, auch bei der strikt selektiven Ernte.
Die ganze Produktionslinie wird im Weingut umgesetzt einschließlich der Flaschenabfüllung. Im Keller liegt der Wein lange auf der Feinhefe, um die Fruchtaromen zu steigern, ganz nach dem Dillmann-Motto: „Gut Ding will Weine haben“. Der Ausbau erfolgt im Edelstahl und im großen Holz und Barrique. Alle Weine stufen die Dillmanns als vegan ein, verwenden im Keller also keine tierischen Hilfs- und Verschönungsmittel – geklärt wird zum Beispiel nicht mit Fischgelatine, sondern mit Erbseneiweiß. Mit dem im Bau befindlichen neuen Keller steuert Familie Dillmann demnächst noch weit größere Ausbaudimensionen an. Auch nach der Abfüllung übernimmt Familie Dillmann noch Verantwortung: Das Weingut ist Mitglied der Deutschen Weinakademie, die sich für den verantwortungsvollen Umgang mit Wein und der Wahrung seines kulturellen Erbes einsetzt.
Gerne und möglichst oft wird im Weingut Karlo Dillmann gefeiert. Es ist mit seinem Blick über das Rheintal bis zur Rochuskapelle Ziel und Weg diverser lokaler Veranstaltungen auf privater und offizieller Ebene. Viele Stunden sitzen die Besucher in der rustikalen Kelterhalle zwischen 40.000 Flaschen Wein und hohen Edelstahltanks und genießen zum Wein die Köstlichkeiten aus der kleinen Küche, die schon mal 400 Essen an einem Tag produziert wie zur weinkulinarische Saisoneröffnung, den Rheingauer Schlemmerwochen. Den Jahresabschluss bildet das WEI[h]Nachtliches Hoffest Mitte November mit Glühwein, Holzkohlengrill, Lagerfeuer und Musik.
Wir konnten sechs Weine vom Weingut Karlo Dillmann aus den 2- und 3-Sterne-Qualitätsstufen verkosten.
Classic ist eine Qualitätsweinbezeichnung, die im Rheingau nur für Riesling und Spätburgunder verwendet werden darf. Die Vinifizierung unterliegt relativ komplizierten Vorgaben, von denen die Festlegung, dass der Restzucker die Gesamtsäure nicht um mehr als das Doppelte übersteigen darf, noch eine der einfachen ist. Doch genug der Theorie, die Praxis schmeckt weit weniger trocken. Denn der 2017 Classic Riesling ist ein feinherber Gutswein, der pro Liter 13,3 g Restzucker und solide 8 g Säure bietet.
Er entfaltet das gebietstypische Sortenbukett von Zitrusfrüchten, grünen Äpfeln und weißen Pfirsichen. Am Gaumen hängt kein schlaffer Softi herum, sondern ein energischer Frische-Allrounder. Die feine, herbe Fruchtigkeit von Grapefruit, Aprikosen, Äpfeln und jungen gelben Pflaumen und die schicke Süßlichkeit werden von einer lebendigen Säure umrahmt. Das inspirierende Frucht-Säure-Spiel und die Mineralität, die quarziten Ursprungs sein könnte, animiert über den saftig-frischen Abgang hinaus zu immer neuen Schlucken. Das ist der Riesling-Typ, der auf Qualitätsniveau das weltweite Aushängeschild für den Rheingau ist, typisch und traditionell. Natürlich können Sie ihn als adretten, süffigen Partywein einschenken, der auch notorische Biertrinker neugierig macht. Er schmeckt aber auch zu einem knusprigen Maishähnchen mit Stampfkartoffeln oder einem Meeresfrüchte-Risotto.
2017 Weisser Burgunder**trocken
Aromen von reifen Birnen, weißer Melone, Ananas und von zart akzentuierten Kräuternoten mit einem winzigen floralen Touch füllen die Nase. Im Mund breitet der Wein sich kraftvoll aus mit einer angenehm erfrischenden Säure und einer sanften Süße, die sich beide zu einer schönen, herben Süffigkeit ergänzen. Er ist wunderbar ausbalanciert und erscheint mit seinem dezenten mineralischen Fundament frisch und klar. Das ist ein ungekünstelter Weißburgunder, frisch und doch körperreich. Er geht schön schmelzig und saftig ins Finale. Abseits des üblichen Schicksals als Terrassenwein und jenseits der Fisch-Kalb-Schwein-Usancen kann er als interessante, unangepasste Eskorte zu einem Rebhuhn oder einem Fasan gereicht werden.
Noch ein Riesling aus der Gutsweinlinie, diesmal aber von etwa 35 Jahre alten Rebstöcken. Ihre Wurzeln sind über die Jahrzehnte tief in den Untergrund eingedrungen und transportieren besonders reichhaltig mineralische Komponenten aus der Tiefe. Eine strenge Handselektion bei der Ernte, Ganztraubenpressung und Ausbau im Stahltank gehören auf dieser Qualitätsstufe zum soliden Dillmann-Handwerk.
Der 2017 Alte Reben Riesling trocken entfaltet ein ausdrucksstarkes Bukett. Noten von Pfirsich und Zitrusfrüchten im Zusammenspiel mit Kräutern, Holunderblüten und etwas Mineralität tummeln sich in der Nase. Die Zunge wird energisch verwöhnt von einer vibrierenden Spannung aus aktiver Säure und einer dezenten Süße, in der eine enorme Fruchtigkeit aus Äpfeln, Weinbergpfirsichen, Zitrus und Aprikose steckt. Der lange Abgang wird von animierenden Fruchteindrücken, einer schmelzigen Würze und einer leichten, kristallinen Mineralität gestützt. Das ist ein gehaltvoller, dichter Riesling, der mit einem prägnanten Extrakt strukturiert ist und mit kraftvoller Noblesse brilliert. Servieren Sie ihn gut bürgerlich zu Zürcher Geschnetzeltem oder zu einem gigantischen Caesars Salad mit selbstgerösteten Croutons oder zu einem echten Berliner Kasslerbraten.
2017 Kläuserweg***Riesling trocken Geisenheimer Kläuserweg
Wir haben einen energischen, echt trockenen, körperreichen Riesling im Glas, dessen Öchslegerüst bei der Ernte sicherlich in Versuchung geführt hat, ihn zumindest feinherb auszubauen. Als komplexer Trockenspieler passt er gut in Familie Dillmanns herausgehobene Powerwein-Richtung. Eine dichte Riesling-Aromatik strömt aus dem Glas. Wir schnüffeln an Eindrücken von Zitrusfrüchten, weißen Pfirsichen, gelben Birnen, Goldkiwis und Aprikosen mit zusätzlichen Tönen von Kräutern und etwas Mineral. Am Gaumen schmatzen wir auf den Aromanoten herum und lassen die Geschmacksnerven rappen. Eine rassige Säure lässt den voluminösen Wein fast schlank wirken, der distinguierte Schmelz verleiht ihm Eleganz und begleitet einen langen Abgang, an dessen Fruchtigkeit mit etwas Mineralität und Würze man sich noch lange laben kann. Das ist ein Riesling mit Gripp, der auf der Zunge fruchtig abrockt – nichts für schwache Gaumen, aber eine gehobene Qualität mit Charakter. Einfach eingießen, zurücklehnen und chillen.
2017 Hasensprung***Riesling Winkeler Hasensprung
Der 2017 Hasensprung Riesling ist mit 48 g Restzucker pro Liter süß ausgebaut und knüpft an die historische, traditionelle Ausrichtung der Rheingauweine an. Er erfreut die Nase mit einem komplexen Aromenbündel voll vielfältiger Fruchtnuancen, insbesondere von Weinbergspfirsichen, Zitrusfrüchten, Litschis, reifen gelben Birnen und Cassis. Dazu erleben wir eine kleine, feine Würze plus etwas Honig und floraler Duftigkeit. Über die Zunge fließt eine herrlich süßliche Fülle, obwohl der Wein stets auf der spielerisch-transparenten Seite verbleibt. Ihre Kraft erhält die Riesling-Frische aus dem knackigen Säuregerüst von 8,9 g pro Liter, das den Wein weg vom Marmeladentopf hin zur eleganten Richtung führt. Seine saftige Fruchtfülle und ein fast versteckter Touch von Mineralität lässt uns im Finish noch lange nachschmatzen. Ein großartiger Rheingau-Riesling, der Köpfe verdreht. Er ist ein prachtvoller Solist, begleitet gerne aber auch mexikanische Enchiladas oder einen altdeutschen Käsekuchen.
2015 Spätburgunder**trocken
Der Dillmann 2015 Spätburgunder aus dem Zwei-Sterne-Sortiment ist gepaart mit Finesse, einer hauptsächlich auf Sauerkirsche, roten Beeren und Cassis aufgebauten Frucht und vornehmen Nuancen von Kräutern und Mandeln nebst kleinen, feinen Röstnoten. Am Gaumen zeigt der Wein ordentlich Muskeln, bleibt aber mit einer freundlichen Säure und einer seidigen Textur der Tannine geschmeidig. Wir nehmen geschmacklich dunkle und rote Beeren nebst Mokkatönen wahr, vor allem im langen, schmelzigen Finish, das Holz verrät, aber nicht aufdrängelt. Ein trockener, körperreicher Spätburgunder, der mit einiger Eleganz rüberkommt. Man stellt ihn am besten zu einer Rehkeule oder einem T-Bone-Steak auf den Tisch.
21.09.2018
Fotos © Weingut Karlo Dillmann