An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Familienweingut Zull: Genusserlebnisse aus dem Weinviertel
Schrattenthal ist mit rund 900 Einwohnern die kleinste Stadtgemeinde Österreichs und macht den Eindruck eines adretten Bauerndorfes. Die Gemeinde gehört zum Bezirk Hollabrunn in Niederösterreich und liegt im Norden des Weinanbaugebiets Weinviertel. Die Grenze zu Tschechien nordöstlich des Ortes ist nur 4 km entfernt. Aber davor kommt noch das Städtchen Retz, das der Kleinregion – Retzer Land – ihren Namen gegeben hat. Wien ist im Südosten rund 80 km entfernt. Rein geografisch trifft die Region denselben Breitengrad wie das Elsass.
Inmitten von Schrattenthal, unweit vom Schlosses, befindet sich das Weingut Zull. Die Gebäude des einstigen Bauerngehöfts verbinden die Ortsstraße mit dem historischen Stadttor. Als das Gebäudeensemble neu gestaltet wurde, schnitt man das straßenseitige Wohnhaus einfach mittendurch, um den Hof direkt für Besucher zu öffnen. Auf diesem Weg gelangt man in ein verglastes Atrium, geführt auf einer Betonplatte im Hof, dessen Dach auf Glasschwertern liegt und bei Bedarf von einem Sonnensegel beschattet wird. Die Glasschiebetüren öffnen den Weg in den großen Verkostungsraum.
Familie Zull bewirtschaftet 18,3 Hektar Rebfläche mit insgesamt 25 Parzellen in den Rieden Äußere und Innere Bergen, Sechs Vierteln und Ödfeld sowie kleinere Parzellen in den Rieden Kalvarienberg, Steinbreiten, Siebzehn Lehen, Neubergen und Schwibbeln. Hier, im Norden des Weinviertels, reichen Sonnenblumen- und Kornfelder bis zum Horizont, immer wieder unterbrochen durch die Weingärten. Es ist eine der trockensten Gegenden Österreichs mit einem kontinentalen Klima ohne Wenn und Aber. Was sich nach Problemfall anhört, verbirgt tatsächlich das einzigartige und für den Wein ideale Mikroklima des nördlichen Weinviertels, das bereits im Mittelalter zur Anlage von Weingärten geführt hatte. Die Sommertage sind heiß, die Nächte jedoch kühl. Im kühlen, nebelarmen Herbst reifen die Trauben schön langsam. Die kesselartige Lage bietet Schutz und der nahe gelegene Manhartsberg hält kalte Winde zur Unzeit ab. Das ist noch cooler Climate als in anderem Gegenden des Weinviertels. Damit haben die Reben schon mal die Chance, eine freundliche Aromatik aufzubauen. Sie reichern sich aber auch mineralisch an und konzentrieren den Extrakt, weil sie aufgrund der Klimaverhältnisse gezwungen sind, ihre Wurzeln tief in den Boden zu strecken, um genügend Wasser zu ziehen. Die Bodenstrukturen sind vielfältig und reichen je nach Lage der Weingärten von Lehm und Sand über Granit, Molasse und rotem Ton bis zu Urgestein. Wer hier verschiedene Böden in seinen Rieden und Parzellen hat, kann Riesling, Grünem Veltliner, Chardonnay oder Pinot Noir das passende Plätzchen zuweisen. Die Gegend um Schrattenthal mit den Ortschaften Obermarkersdorf und Waitzendorf, deren Weingärten sich bis hinauf zu den Wäldern am Manhartsberg erstrecken, bietet ein einzigartiges Terroir, das den Weinen eine unverwechselbare Herkunft mitgibt.
Die Weingärten der Familie Zull sind zu rund 70% mit den Weißweinsorten Grüner Veltliner, Riesling, Pinot Blanc, Chardonnay, Müller-Thurgau und Welschriesling bestockt und zu 30% mit den roten Sorten Zweigelt, Pinot Noir, Blauer Portugieser, Cabernet Sauvignon und Merlot. Im Weingarten wird umweltschonend und mit äußerster Sorgfalt gearbeitet: Auf Herbizide und Kunstdünger wird verzichtet und stattdessen auf das Prinzip gute Käfer gegen schlechte Käfer und auf die mechanische Unkrautbekämpfung gesetzt. Die Rebstöcke werden geradezu liebevoll gepflegt und mit gnadenloser Handarbeit verwöhnt, kein Aufwand wird gescheut, um das Potenzial der Böden auszuschöpfen und die Reben zu veranlassen, alles zu geben, was sie können. Man hat erkannt, dass die Natur unendlich viel bietet, wenn man auf sie eingeht und erkennt, was sie will. Rund 18.000 Arbeitsstunden sind alljährig notwendig, um die Rebstöcke in den Weingärten bei Laune zu halten.
Der hochtrabenden Frage nach der Philosophie des Weinmachens begegnen Phillip und Werner Zull verblüffend einfach: „Wein soll Spaß machen“ und „Wir produzieren Weine fürs Leben und keine Sammlerstücke“. Das sind bei den Zulls keine Hohltöne, vielmehr nimmt die ganze Familie jede Anstrengung auf sich, um der Ernsthaftigkeit der Wahlsprüche gerecht zu werden. Dabei haben sie viel von all dem, was einst als Vision begann, schon längst umgesetzt und mit hochwertigen Weinen den Namen des Weinviertels verbreitet. Sie wollen komplexe Weine machen, bei deren Genuss man bemerkt, dass die Traube eine Frucht ist. Die Weine müssen Charakter haben und schmecken lassen, woher sie kommen und welche Rebsorte hinter dieser oder jener stilistischen Ausprägung steht. Obendrein ist eine lange Lagerfähigkeit gefragt, weil man neugierig ist, ob und wie sich ein Wein über die Jahre wandelt und im Eindruck steigern lässt. Was die Neugier angeht, so sind Phillip und Werner Zull unermüdlich dabei, Erreichtes zu überprüfen, Neues zu wagen und immer weiter zur Seele ihrer Reben und Weine vorzudringen. Das ist für jeden der Beiden ein ganz persönlicher Weg, auf dem Individualität schon mal Vorrang haben kann vor Einigkeit. Hierfür braucht man Begeisterung und Geduld, nicht zuletzt eine liebevolle Familie und ein loyales Team. An beidem fehlt es im Weingut Zull nicht.
Wir konnten sechs Weine des Weinguts Zull verkosten.
Lust und Laune Grüner Veltliner 2017
Der Name signalisiert das Programm für Nase und Gaumen und kündigt seelische Streicheleinheiten an. Er kommt vom sandigen Lössboden, der eine prägnante Fruchtigkeit spendiert. Aus dem Glas purzeln Duftnoten von frischen gelben und grünen Äpfeln und Birnen, von Zitrusfrüchten mit Grapefruit, Kräutern und einer Blumenwiese im Morgentau. Wir schmatzen auf einheimischen und leicht süßlichen tropischen Fruchtvarietäten herum, darunter wieder Äpfel, Zitrusfrüchte, einige Litschis und Kräuterwürze. Die knackige Säure und die leichte, saftige Struktur mit einem kleinen Gerbstoff-Touch vermitteln nicht nur ein Finish mit Griff, sondern durchgehend eine eindrucksvolle Frische. Ein Animationswein für alle Fälle, der nicht nur auf der Terrasse vergossen werden sollte. Das ist keiner der Weine, mit denen das Lagerpotenzial ausgetestet werden kann, er sollte so wie er ist, jung und frisch getrunken werden. Denn Lust und Laune wollen wir gleich haben.
Lust und Laune Rosé 2017
Nun also Trinkvergnügen für alle, die Lust und Laune lieber aus Rosé-Weinen beziehen. Es ist eine Cuvée aus Zweigelt, Pinot Noir und Blauer Portugieser, im Edelstahl ausgebaut. Der Wein macht schon im Glas mit seinem illustren Pink an. Er hält sensorisch, was er visuell verspricht, nämlich ein herrliches Bukett aus Himbeeren, Erdbeeren und floralen Tönen mit einer kleinen Zitrus- und einer lustigen Gewürznote. Schon in der Nase kommt die Sommerlaune auf Touren. Am Gaumen tritt dann die vielfältige, aber schlanke Frucht der Rebsorten und des Terroirs auf, ohne die trockene Stilistik zu kippen. Die straffe Frische belebt mit jedem Schluck, der sich leicht zu einem strömenden Trinkfluss steigern kann. Ein süffiger, swingender Sonnenwein, der auch ein Lachsfilet vom Grill oder eine kalte Vorspeisen-Platte mit Meeresfrüchten erhellt.
Weinviertel DAC Grüner Veltliner 2017
Die Reben für den Weinviertel DAC Grüner Veltliner 2017 von Zull stehen auf sandigem Lehm und Lössboden. Er ist mit ausgewählten Reinzuchthefen im Edelstahl ausgebaut. Im Glas zeigt er sich in einem hellen Gelb mit silbrig-grünen Reflexen und protzt mit einer kecken kleinen Kohlensäuremousse. In der Nase tritt er mit einem intensiven Aroma von Früchten und – tatsächlich – grünem Pfeffer auf. Unter die Früchte mischen sich Birnen, weiße Johannisbeeren und weiße Pfirsiche. Dazwischen schweben einige florale und pikant-kräutrige Anklänge. Geschmacklich treffen wir auf eine erstaunliche Dichte und kernig-fruchtige Eleganz, die weit über einen Basisrang hinausgehen. Auf der Zunge begegnen sich grüne Äpfel, Williamsbirnen, rote Grapefruit, weiße Nektarinen, Marillen und leicht hefige Gewürze. Er präsentiert auch im Geschmack einen kleinen Pfefferton, aber jetzt als weißer Pfeffer. Die offensive Säure, ein lockerer Gerbstoffgriff und eine überraschend präsente Mineralik stützen einen geschmeidigen, zuweilen herrlich schmelzig erscheinenden, auf jeden Fall solide saftigen Abgang. Ein lebendiger, klassischer Klassiker, der sich bei Zull in die Topliga emporreckt. Was die Speisebegleitung angeht, so gehören selbstredend Spargel, Wiener Schnitzel oder Backhendl zu den üblichen Verdächtigen. Sie können es aber auch einmal mit einer asiatischen Fischpfanne probieren.
Grüner Veltliner Äußere Bergen 2015 Weinviertel DAC Reserve
Welch hochkomplexer Veltliner schimmert hier hellgrün-silbrig im Glas. Welch kühler, vielschichtiger, mineralisch begleiteter Exotikduft, dazu herbes Kernobst, Quitten und Zitrus, unterlegt mit frischen Gartenkräutern. Am Gaumen dann ein vollmundiges, hochkonzentriertes, extraktreiches Veltliner-Erlebnis mit frischen und kandierten Früchten wie Ananas, Zitrus und Mango nebst floralen Ausflügen und einer fast cremigen, saftigen Dichte. Die feine Säure ist präsent, aber fein austariert mit der Mineralik, dem Extrakt und einem kleinen, feinen Holzton. Das Finish ist saftig, würzig und ewig anhaltend. Ein ungemein körperreicher, vielschichtiger Veltliner mit Finesse, Eleganz und Harmonie. Die Kraft dieses Veltliners dürfte noch mindestens fünf Jahre lang den Gaumen erfreuen. Öffnen Sie die Flasche gleichwohl schon jetzt und zwar mindestens eine Stunde vor dem Einschenken in Rotweingläser. Auf dem Tisch könnte dann ein Braten vom galicischen Kalbfleisch aus der Tenera-Gallega-Klasse stehen – man gönnt sich ja sonst (fast) nichts.
Ein Chardonnay nimmt gerne und viel vom Boden auf und bringt in einer Cool Climate Region interessante Aromen hervor. Wir haben indes keinen puren Stahl-Chardonnay im Glas, sondern einen, der teilweise im Barrique ausgebaut ist, wodurch es zum biologischen Säureabbau gekommen sein dürfte.
Der Wein sendet aus dem Glas ein fruchtiges, etwas nussiges und sanft buttriges Bukett, in dem gelb-weiße Honigmelonen, überreife gelbe Pflaumen, Bananen und eine sanfte Brise von Karamell die Spannung steigern. Den Gaumen umschmeicheln saftige Früchte wie Melonen, Clementinen und etliche Nuancen auf dem „ein Hauch“-Level von Nüssen, Butter, Bananen, Vanille und Feigen. Der Wein strahlt Harmonie und Tiefe aus, er spart nicht mit Finesse und Facettenreichtum. In die zarten Holztöne mischen sich eine inspirierende, gebändigte Säure und eine deutliche mineralische Würze. Der Abgang ist schön schmelzig und lässt einen noch lange auf der angenehmen Fruchtsüße herumschmatzen. Dieser Chardonnay ist ein Wein, der sich gut als Solist und als Gesprächsthema eignet. Er rundet aber auch gerne ein edles Hummergericht mit einer Rahmsoße ab.
Dieser Zweigelt kommt von sandigen, leicht lehmigen Böden. Die manuelle Ernte Mitte Oktober ist im Keller mit höchster Pflegestufe betreut worden. 20 Tage lang wurde die teilweise spontane Maischegärung durch zweimaliges Umpumpen am Tag mit Sauerstoff befeuert. Danach ging es für sechs Monate ab in drei bis fünf Mal vorbelegte Barriques.
Entstanden ist mit dem Jahrgang 2016 ein fruchtiger Charmbolzen, der weit über übliche Zweigelt-Erwartungen hinausgeht. Seine Aromanoten von Weichselkirschen, Brombeeren und roten Beeren sind unverkennbar. Interessanter Weise erfreut die Nase auch ein Kick Haselnuss, Schokolade und ein Strauß blaue Veilchen. Über die Zunge fließt der Wein weich und stoffig, im Mund erscheinen auf der Bühne zärtliche Nuancen von Würze, eine mürbe Tanninstruktur und eine tänzelnde Säure, die sich im Abgang mit einem dezent süßlichen Schmelz und kühler Minze, weichen Röstaromen und leichter Nussigkeit verabschieden. Ein prachtvoller Zweigelt, charmant und elegant, vollmundig und extrovertiert. Erfreuen Sie ihn und sich mit einem Perlhuhn aus dem Ofen.
29.06.2018
alle Fotos © Steve Haider/Weingut Zull
Flaschenfotos: Weingut Zull