An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Handgerüttelte Sektkultur: Das deutsche Spitzen-Sektgut St. Laurentius
Es sind von hieraus zwar weniger als 300 km bis in die Champagne. Doch in gewisser Weise kann man sich den Weg ersparen: Mit die allerbesten „Champagner“ macht das Sektgut St. Laurentius in Leiwen an der Mosel in der Laurentiusstraße Nr. 4, rund hundert Meter vom Flussufer entfernt. So klein Leiwen mit seinen rund 1.600 Einwohnern auch ist, mit 267 Hektar bestockter Rebfläche ist es eine der größten Weinbaugemeinden an der Mosel und liegt an einer der schönsten Moselschleifen zwischen Bernkastel und Trier, die gerade zur „schönsten Weinsicht 2016“ ausgezeichnet wurde.
Hier macht Klaus Herres mit seiner Familie seit über dreißig Jahren für sich und für andere Sekte, mit denen er es nicht nur wiederholt und seit 2014 kontinuierlich bei der DLG Bundesweinprämierung zur Auszeichnung als bester Sekterzeuger des Jahres an die Spitze aller deutschen Winzersekte gebracht hat, sondern mit denen er sich auch rühmen kann, Lieferant von Staatsoberhäuptern zu sein. Doch davon später.
Anfang der 80er betrieb Klaus Herres während seiner Ausbildung in der Champagne gleichsam Grundlagenforschung und gewann die Überzeugung, auch hierzulande die Qualität und den Charakter einer Flaschenvergärung verbreiten zu können. 1982 übernahm er das väterliche Weingut und begann als Forscher und Entdecker mit der Sektproduktion. In Deutschland wurde damals zwar reichlich Schaumwein konsumiert, den lieferte aber mit massenhaftem, süßen Billigschaum die Sektindustrie. Dementsprechend wurde Klaus Herres von seinen Winzerkollegen irgendwo zwischen Daniel Düsentrieb und Don Quijote angesiedelt. Mit der Kategorie try and error ist noch milde und vor allem banal ausgedrückt, was er auf dem Weg zu seinem ersten fertigen Sekt 1984 erlebt hat.
Es begann damit, dass er gebrauchte Champagner-Flaschen sammelte, weil nur diese die Wand- und Bodenstärke hatten, um den anhaltenden hohen Druck der Flaschenvergärung zu überstehen. Eine entsprechende Bestellung bei der Glasindustrie hätte außerhalb seiner Kreditmöglichkeiten gelegen. Darüber hinaus besorgte er sich auf dem Flohmarkt in der Partnergemeinde Le-Mesnil-sur-Oger in der Champagne die ersten Rüttelpulte und vor allem eine Maschine zum Verkorken der Flaschen. Denn die deutschen Geräte waren nicht für die speziellen Champagnerkorken und für einen Druck von 6 bar konzipiert. Der Flohmarkt blieb übrigens lange Jahre seine Einkaufsquelle und wurde Ziel zahlreicher Jungwinzer von der Mosel, als diese sich der Flaschengärung zuwandten.
Da Klaus Herres in der Champagne zwar die ganze Methodik erlernt, ihm aber niemand die geheimen Rezepte verraten hatte, musste er die Füll-Dosage für die zweite Gärung des Grundweins selbst mixen. Und wie beim Kuchenbacken Mehl, Zucker, Hefe und Flüssigkeit zum Einsatz kommen, nahm er Riesling Spätlese, Zucker und eine ordentliche Portion von der Reinzuchthefe, um sicher zu gehen, dass die Gärung auch in Gang kommt. Nachdem im Keller lange verdächtige Ruhe herrschte, entschlossen sich die Flaschen mit den Kronenkorken, ausgerechnet in jener Nacht mit der Gärung zu beginnen, als er mit seiner Frau beim Kirchweihfest zum Tanz und seine Eltern alleine zu Hause waren. Die trauten sich nicht in den Keller, in dem eine Flasche nach der anderen die ungestüme Gärung nicht mehr aushielt und zerplatzte. Die Flaschen, die überlebten und als potentieller Sprengstoff erachtet werden konnten, rüttelte Klaus Herres in ganz spezieller Schutzkleidung aus Skianzug, Motorradhelm und dicken Handschuhen. Das Rütteln hatte er schließlich ebenso in Frankreich gelernt wie das sparsame Degorgieren, bei dem möglichst nur der Hefepfropfen und nicht der wertvolle Flascheninhalt herausgeschleudert werden.
Es dauerte dann bis 1993, ehe das Sektgut St. Laurentius voll eingerichtet war. Klaus Herres ist bei der Flaschengärung geblieben, mit der nur rund 3 % der deutschen Sekte hergestellt werden. Leider darf man nicht mehr „Méthode champenoise“ auf die Etiketten schreiben, was im Falle von Klaus Herres so gut passen würde wie bei keinem anderen deutschen Winzer. Der Familienbetrieb Sektgut St. Laurentius produziert heute jährlich 80.000 Flaschen der Marke St. Laurentius. Zusätzlich befüllt er rund 270.000 Flaschen für andere Wein- und Sektgüter.
Winzersekt nach der Champagner-Methode
Winzersekte sind, vereinfacht gesagt, die in Deutschland von den Winzern nach der Champagner-Methode, also per Flaschengärung, hergestellten Sekte. Sie sind – anders als in Frankreich – überwiegend Jahrgangssekte. Der vergorene Grundwein wird auf die Flasche gefüllt und mit dem Liqueur de tirage, der Fülldosage, versetzt, einer Mischung aus den ausschließlich aus der Champagne importierten Reinzuchthefen und gelöstem Zucker. Das führt bei konstanten 16° C innerhalb von wenigen Wochen zur zweiten Gärung, die dem Wein die feinen Bläschen verschafft. Nach der Lagerung auf der Hefe werden die Flaschen degorgiert, d.h. der Hefepfropfen aus der Flasche entfernt. Die Flaschen werden dazu über Kopf fast waagerecht auf Pulte gestellt und täglich um ein Viertel um ihre eigene Achse gedreht und so langsam in eine senkrechtere Position gebracht. Nach 20 Tagen hat sich die Hefe ganz im Kronkorkbereich abgesetzt. Der Flaschenhals mit der darin angesammelten Hefe wird über Kopf in ein Gefrierbad getaucht. Nach einigen Minuten hat sich ein Eispfropfen gebildet, der die Hefe einschließt. Öffnet man nun die Flasche, schießt dieser heraus. Vor der Verkorkung wird ggf. der Liqueur de dosage, die Versanddosage, zugesetzt, eine Mischung aus Rohrzucker und Wein, mit der man den Sekttyp festlegen, darüber hinaus aber auch den Geschmack beeinflussen kann. Um die Authentizität zu erhalten, bereitet der Kellermeister die Dosage oftmals mit edelsüßen oder aromaidentischen Reserveweinen zu. Anders als in der Champagne setzt man den Sekt in der Endphase keiner Sauerstoffzufuhr aus, baut ihn also reduktiv, ohne oxidative Noten aus. Wegen der geschützten Herkunftsbezeichnung der Champagnermethode darf es beim Winzersekt nur heißen: „traditionelle Flaschengärung“. Dafür ist seit 1985 der Begriff Winzersekt in Deutschland geschützt.
Auch für das Sektgut St. Laurentius fängt die Qualität im Weinberg an: Die Trauben werden von Hand gepflückt und in Edelstahltanks erstvergoren, oftmals auch noch mit ergänzender malolaktischer Gärung. Der Grundwein darf nicht zu fett sein, denn wenn sich hohe Öchslegrade in reichlich Alkohol verwandeln, werden die Sekte dumpf und stumpf und eignen sich wie viele Industrieprodukte nur noch als sättigendes Schlafmittel.
Seit 1993 häufen sich die Auszeichnungen und Prämierungen, mit denen die Kunst von Klaus Herres Sektherstellung gewürdigt wird. Einer der ersten Höhepunkte hierbei war 1999 die Aufnahme in die Bruderschaft der Champagner-Erzeuger von Le Mesnil-sur-Oger und die Ernennung zum „Chevalier de la Confrérie de l´Arc“, womit er der erste Schaumweinhersteller in Deutschland war, den die Bruderschaft zu ihrem Ritter schlug. Im selben Jahr ehrte ihn die Spitzenorganisation der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, DLG, als besten Sekterzeuger Deutschlands, was sich seitdem häufig wiederholt hat – seit 2014 hält er den Platz in jedem Jahr. 2009 wurde sein Sekt bei einem internationalen Wettbewerb in Rom zum besten Schaumwein Europas erkoren.
Klaus Herres hat es mit der solidarischen Unterstützung seiner Ehefrau Gisela und seiner Töchter Nadine und Katja nicht nur an die Spitze der deutschen Sektwinzer geschafft, sondern ganz wesentlich dazu beigetragen, dass die deutsche Sektkultur ein eigenständiges und heute vielgerühmtes Gesicht bekommen hat. Er hat die Jungwinzer animiert, inspiriert und ermutigt, mit der Methode der Flaschengärung einzigartige Sekte mit dem Charakter ihrer Herkunft, der Rebsorte und einer individuellen Manufaktur zu machen. Wer weiß, was der Mönch Dom Pérignon heute ausrufen und wieviele Sterne er sehen würde, öffnete er eine Flasche vom Sektgut St. Laurentius.
Wir konnten sechs Sekte vom Sektgut St. Laurentius verkosten.
2015 Riesling Brut
Der Riesling ist nicht nur beim Wein die perfekte Rebsorte an der Mosel sondern erst recht beim Sekt. Seine Aromen sind umperlt von feinen Bläschen ein Fest für den Gaumen. Der St. Laurentius Riesling Brut ist sozusagen einer der Stammsekte des Hauses, mit Jahrzehnte langer Erfahrung produziert. Im Glas funkelt er in einem satten Strohgelb mit animierenden gelbgrünen Reflexen. Er perlt nachhaltig und vorbildlich wie ein feiner Nieselregen. Das Bukett erscheint sehr sortentypisch, mineralisch und höchst elegant. Eine angenehme Melange aus dem Duft einer reifen Gellerts Butterbirne mit einem Hauch Zitrus und etwas Quitte entfaltet sich, unterstützt von verheißungsvollen, kleinen süßlichen Schüben. Im Mund verbindet sich die angemessene Säure mit einer schönen, schiefrigen Mineralität zu einer edlen Saftigkeit. Es zeigen sich Aromen von Quitten und Äpfeln, einige Zitrusnoten und eine cremige, harmonische, sehr dezente Fruchtsüße. Das ist der Sekt, der gerne eine Vorspeise von verschiedenen luftgetrockneten Schinken begleitet. Ganz verwegen können Sie ihn auch zu Graved Lachs im Mund schäumen lassen.
2014 Spätburgunder Rosé Brut Cuveé Nadine
Dieser Rosé wird von Klaus Herres jüngster Tochter Nadine zusammen mit Ehemann Johannes hergestellt, die seit einigen Jahren aktiv im Betrieb eingebunden sind. Der Sekt lagerte 26 Monate auf der Hefe bis degorgiert wurde. Der Sekt hat eine hell lachrosa Farbe und hebt sich damit wohltuend von den Himbeercolorationen vieler Winzerkollegen ab. Dennoch ist er ein Erdbeerwunder – man staunt, wie es zu schaffen ist, das die Spätburgundertraube so prägnant ihre Aromen von Erdbeeren und roten Johannisbeeren spendiert. Wir denken beim Schnüffeln auch noch an helle Kirschen und gelbe Pfirsiche. Geschmacklich kommen die Früchte dann eher dezent und unaufdringlich daher, zart und ausgewogen. Sie stützen die mineralisch-fruchtige Impression eines herausragend ausbalancierten Rosé-Sekts mit einer sehr feinen, aber quicklebendigen Bläschenstruktur und einer distinguierten Mousse. Der Sekt ist im Abgang schön cremig, das Duett von Frucht und Säure wirkt noch lange nach. Mit dem Spätburgunder Rosé können Sie Ihre Gäste empfangen wie der Bundespräsident, gerne gepaart mit milder Fingerfood.
Chardonnay ist bekanntlich die Rebsorte, aus der neben Pinot Noir und Pinot Meunier der Champagner kreiert wird. Diesem Chardonnay merkt man die besondere Beziehung an, durch die Klaus Herres von der Champagne geprägt ist. Nur wer die Klaviatur des Champagners beherrscht, ist zu Charakter-Variationen fähig, die das „Original“ zu übertreffen vermögen. Der Sekt ist feinperlig und schön süffig. Er bezieht seine Kraft nicht aus einer knackigen Säure, sondern aus einem cremigen, extraktreichen Körper voller nahezu geheimnisvoller Komplexität. Schließlich reifte der Grundwein teilweise in kleinen Barriques. In welchem Chardonnay entdeckt man schon solche Duft- und Geschmacksnoten von Futoro-Melonen, Mirabellen oder exotischen Rambutan-Früchten neben den üblichen Verdächtigen wie Äpfeln und Nüssen. Fast meint man, dass die vorsichtigen Röstnoten von einer Spur Muskat und Honig begleitet werden. Die intensive Fruchtigkeit, die gewisse Mineralität und die frische Säure verleiten dazu, immer wieder ins Glas einzutauchen: Köstliche Eleganz aus dem Moseltal. Lassen Sie doch an Stelle der üblichen Fischgerichte einmal eine getrüffelte Poularde aus dem Rohr diesen Sekt begleiten.
Ein Crémant ist hierzulande seit 2009 zugelassen und muss nach den einschlägigen Vorschriften der EU und der Weinverordnung zahlreiche Kriterien erfüllen, von denen die, dass er von handgelesen Trauben stammen muss, noch die aufregendste ist. Was den zumeist aus Frankreich bekannten Crémant angeht, so dürfte Klaus Herres auch hier Experte sein. Sein Crémant ist jedenfalls schon mal goldiger in der Farbe als die hierzulande vermarkteten weißlichen Perlwässerchen von jenseits des Rheins. Es ist eine Cuvée aus den klassischen Rebsorten an der Mosel: 25 % Riesling, 40 % Spätburgunder, der als blanc de noir ausgebaut wurde, und 35 % Chardonnay. 21 Monate reifte die Cuvée auf der Hefe. Im Glas blitzt er in einem weißgoldenen Grünton. Der Crémant perlt fein, aber hochaktiv im Glas, die Mousse hält einen feinen, dichten Schaumrand aufrecht. In der Nase imponiert er durch kühle Düfte von gelben Äpfeln, Quitten und einem Hauch von Zitronengras. Im Mund trifft die herbe Frische des Extra-Brut auf exotische Fruchtrichtungen von roter Grapefruit, von Limonen, grünen Äpfeln und klitzekleinen Nuancen von Litschis und weißen Pfirsichen. Er stürzt sich in einen intensiven, herrlich mineralisch gestützten Abgang, der noch einmal Energie und Spannung aufbaut. Auch wenn es die alte Leier ist – man kann diesen echt trockenen Crémant zu einem guten Sushi oder einem Hummergericht in der Vorrunde eines Menüs servieren. Er beeindruckt aber auch als herausragender Solist bei einem festlichen Empfang.
2014 Cuveé Pinot Brut
Jetzt werden wir im Glas noch goldiger und in der Aromatik unwiderstehlich: Eine reine Burgunder-Cuvée aus Weißburgunder und Spätburgunder. Der Sekt perlt, wie von St. Laurentius gewohnt, fein und vornehm mit leichter, dichter Mousse. Duftig, sinnlich und sanft ist der erste Eindruck in der Nase und am Gaumen. Fruchtaromen von reifen gelben Birnen und einigen, eher jungen gelben Pflaumen nebst Mandarinen werden von einer gewissen Würze umspielt. Stets ist eine schöne Restsüße präsent, die eine Note von hochwertigem Agavensirup hat. Die eingebundene Säure ist gezähmt zu einer gefälligen, weichen, cremigen Sanftheit, die indes ausdrucksstark und elegant verführt. Ein Sekt für Träumer und Genießer – gerne auch für sinnliche Abende oder etwas unromantischer zu einer Spargelsuppe, einem klassischen Rindersaftbraten an Sahnesoße oder gar zu einem Dessert von frischen Erdbeeren.
2015 Auxerrois Brut aus ökologischem Anbau
Der Grundwein für diesen Sekt kommt aus dem ökologischen Anbau. Der Namensgeber der Rebsorte ist wahrscheinlich die ehemalige Grafschaft Auxerrois zwischen Nordburgund und der Champagne. Dort ist die Rebe anders als an der Mosel jedoch im Wesentlichen durch ein Kalkstein-Terroir geprägt, das oftmals säureschlaffe Weicheier hervorbringt, was man von diesem Sekt nicht einmal andenken kann. Er war 10 Monate auf dem Hefelager und hat eine Restsüße von 12 g/l. Im Glas strahlt er uns goldgelb an, hell und klar mit feinster Perlage. Wir schnüffeln an Duftnoten von frischen Birnen, Quitten und Ananas. Im Geschmack kommt zu dem fruchtigen Aromenspektrum eine leichte, nussige Note hinzu. Es ist ein filigraner Sekt mit gezügelter, aber vom Restzucker keineswegs überlagerter Säure. Ein kraftvoller und süffiger Sekt für einen unbeschwerten, köstlich-frischen Trinkfluss. Es ist der eindrucksvolle Sommersekt für alle Fälle. Sie sollten seine weiche Fruchtharmonie aber auch einmal zu einem französischen Ziegenfrischkäse genießen. Selbstverständlich könnte er auch eine Dorade aus der Pfanne beeindrucken.
24.04.2017
alle Fotos: © Sektgut St. Laurentius