An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Unbekannte Spitzenqualität: Das Weingut Dragomir in Bulgarien
Weine aus Bulgarien
Man hat stets den Eindruck, dass es einer besonderen Rechtfertigung bedarf, wenn man Weine aus Bulgarien anbietet. Entweder es wird dann die Jahrhunderte alte Tradition des Weinanbaus auf bulgarischem Boden angeführt oder darauf verwiesen, dass sich dort „inzwischen“ erstaunliche Qualitäten finden lassen.
Dabei ist Bulgarien ein bedeutendes Weinland wie viele anderen auch, das im Rebflächenvergleich noch vor Österreich, Ungarn und Neuseeland liegt, im Vergleich der Produktionsmenge gleich hinter Österreich. Es gibt aus Ostblockzeiten überlieferte billige Massenprodukte und neuerdings zunehmend hochwertige Weine, die sich ohne weiteres in die Qualitätsvorstellungen westeuropäischer Weinbauländer einfügen. Wer daran zweifelt, hat die Entwicklung schlicht verpasst.
Die Weingüter, die nach 1944 verstaatlicht wurden, sind wieder privatisiert und teilweise in Händen von motivierten Enthusiasten, für die guter Wein ein selbstverständliches Ziel ist. Das Klima ist jedenfalls kein Hinderungsgrund. Immerhin liegt Bulgarien auf den gleichen Breitengraden wie das Bordelais und die Toskana. Es gibt grundsätzlich heiße Sommer, einen milden Herbst und reichlich Regen – idealer Weise in der Vegetationsphase im Frühling und Frühsommer. Die Eigenart der eher kargen Böden reicht von Braun- und Schwarzerden in den ansteigenden, kühleren Gebirgsregionen über steinige, kaum verwitterte Rohböden ohne organische Auflage in den höheren Lagen bis zu kalkhaltigem Löß oder feinerdigen, ton- oder kalkhaltigen Verwitterungsböden und sandigen Bereichen in den anderen Regionen.
Die meisten Weingüter haben Trauben in eigenen Weinbergen. Es sind autochthone bulgarischen Sorten wie Mavrud und Rubin, aber auch europäische oder internationale wie Cabernet, Merlot und b oder sogar Viognier, Malbec und Tempranillo. Die Weingüter haben Millionen in moderne Keller und neue Eichenfässern, in das Know How und in exzellente Teams von Technologen und Beratern investiert. Für sie gilt es noch immer, weite Rebflächen zu regenerieren, die in der Vergangenheit vielfach sich selbst überlassen wurden und noch heute in einem eher schlechten Zustand sind. Auf dem europäischen Markt loben Kenner die bulgarischen Qualitätsweine als hervorragende Weine zu fairen Preisen.
Nachdem zunächst französische Sorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und teilweise auch Pinot Noir ihren Siegeszug angetreten hatten, besinnen sich die Qualitätswinzer wie vielerorts in Europa wieder auf einheimische Sorten. In Bulgarien sind das beispielsweise Pamid oder Mavrud, mit denen man einzigartige Weine machen will, um den regionalen Charakter der bulgarischen Landschaften herauszuarbeiten. Viele bulgarische Winzer vergären noch traditionell die Sorten Pamid und Misket Cherven in irdenen Gefäßen.
Auf gut 107.000 ha Rebfläche werden in Bulgarien etwa 1,6 Millionen hl Wein erzeugt, knapp zwei Drittel davon sind Rotweine. Die häufigste Rebsorte ist mit über 50% Cabernet Sauvignon. Riesling und Welschriesling werden gemeinsam gekeltert, beide als Rizling bezeichnet und daraus beliebte Qualitätsweine erzeugt. Im Zuge des EU-Beitritts wurde das bestehende Weingesetz von 2000 grundlegend überarbeitet. Seither gibt es in Bulgarien strenge Richtlinien für die Erzeugung der uns interessierenden Qualitätsweine. Die Sortenweine sind reinsortig und kommen aus dem angegebenen Herkunftsgebiet. Die Reserva-Weine müssen eine bestimmte Reifezeit aufweisen, für Weißweine sind das zwei Jahre und für Rotweine drei Jahre. Bei den Controliran-Weinen stammen die Trauben aus einer bestimmten Lage innerhalb der 55 definierten Anbaugebiete. Die Weine werden von einer Kontrollkommission in drei aufeinander folgenden Jahren geprüft und erhalten dann das Prädikat.
Das Weingut Dragomir
Das Weingut Dragomir liegt in der Thrakischen Ebene am südlichen Rande der zweitgrößten Stadt Bulgariens, Plovdiv (Plowdiw), die sich auf sechs Hügeln erstreckt, die seit etwa 6000 v.Chr. besiedelt sind. 2019 wird die Stadt europäische Kulturhauptstadt sein neben Matera in der italienischen Basilikata.
Familie Gadjeva-Stoev setzt gezielt auf das Assemblieren von mehreren Rebsorten, die höchste Kunst eines Kellermeisters. Man will komplexe Weine kreieren, die ausdrucksstark sind in den Aromen und im Geschmack und obendrein auch lange lagerfähig. Zudem ist ein guter Verschnitt, der bekanntlich im Kopf entsteht, Ausdruck der Persönlichkeit, der Vorstellungskraft und der Vorlieben des Kellermeisters.
Wir konnten sechs Weine des Weinguts Dragomir verkosten.
2014 Sarva Chardonnay & Dimyat
Im Glas blitzt der Wein in einem sehr hellen Gelb und sendet grünliche Reflexe aus. Er duftet intensiv und transportiert blumige Noten, eine frisch gemähte Wiese, Kräuter, Zitrusdüfte, Grapefruit und grüne Äpfel. Am Gaumen zeigt er sich von einer extraktreichen Seite, leicht cremig, mit dezenter Fruchtsüße, Tönen von Äpfeln, Nüssen und Kräuter und einem Touch Vanille, obwohl der Wein sich nicht im Holz aufhielt. Mancher Schluck lässt auf ein kalkreiches terroir schließen. Mit seinen kräftigen Fruchtsäuren und der herrlich mineralischen Struktur ist es ein erfrischender Sommerwein, der sich mit einer beeindruckenden Eleganz präsentiert. Ein universeller Begrüßungswein auf der Terrasse, aber auch eine frische Begleitung eines gedünsteten, leicht asiatisch gewürzten Wolfsbarschs.
2013 Karizma Chardonnay, Barrel fermented
Karizma kommt in seiner Bedeutung dem deutschsprachigen Fremdwort Charisma gleich. Auf dem Label ist die Fibonacci-Spirale zu sehen. Sie verweist auf eine mathematisch begründete Wachstumsfolge in der Natur und im übertragenen Sinn auf die Entstehung eines Werkes aufgrund eines besonderen Talents, von den Anfängen bis zu seiner perfekten Vollendung. Dieser Gedanke wird im Karizma-Wein eingefangen.
Mit diesen Ambitionen im Hintergrund ist der weiße Karizma kreiert worden: Ein reinsortiger Chardonnay, dessen Maische in Körben gepresst wurde und dessen Most temperaturgesteuert im Holzfass vergoren ist. Er reift sechs Monate auf der Feinhefe im Barrique von französischer Eiche. Der verkostete Jahrgang 2013 ist noch nicht im Handel.
Wir sehen im Glas einen grüngelb funkelnden Wein und erfreuen uns an komplexen, intensiven Aromen von quittegelben Äpfeln, gelben Pflaumen und Haselnüssen nebst einem Touch Mango. Dazu kommen eine sortentypische Butternote und die Erinnerung an frisch getoastetes Weißbrot. Im Geschmack gesellt sich ein leicht vanilliger Holzton hinzu und bisweilen ein Hauch von Honig. Es ist ein dichter, komplexer und fülliger Wein, der durch die kräftige Säure mit einem langen, fruchtigen Finish glänzt. Begleiten Sie mit diesem Wein einen Fisch in Beurre-Blanc oder ein Steinpilzragout auf Pasta.
2015 Sarva Rosé Mavrud-Rubin
Sarva ist ein Sortenverschnitt aus den einheimischen Reben Mavrud und Rubin. Die Sorte Mavrud existiert seit 4000 Jahren. Der Mavrud war der Wein von Dionyssos und Orpheus. Mavrud ist noch immer die Nummer Eins auf dem Markt in Bulgarien und aus diesem Grund werden fast jeden Tag neue Rebflächen mit Mavrud angelegt. In Bulgarien sind hauptsächlich zwei Klone der Mavrud-Rebe im Anbau. Es wird derzeit auch an der Wiederherstellung alter Klone aus der Ära vor der Reblaus gearbeitet. Rubin ist eine farbintensive Kreuzung aus Syrah und Nebbiolo. Die Trauben kommen nur kurz in die Mazeration, um mit der Pressung eine feine Farbe zu erhalten. Vergoren wird temperaturgesteuert im Edelstahltank.
Der Sarva Rosée füllt das Glas mit einem zarten, blassen Lachs-Rosa. Es duftet nach Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen und Mandeln. Im Geschmack erscheinen rote Früchte wie Erdbeeren, Kirschen und Rote Johannisbeeren sowie ein Hauch Brombeeren. Er bringt viel Frucht in den Vordergrund und in das Finish. Er strömt nur so dahin mit einer starken Mineralität, einigen zarten Tanninen und einer prägnanten Säure, die vor allem von der Rubin-Traube stammen dürfte. Hier ist eine große Qualität durch das Zusammenspiel zweier Rebsorten entstanden, erdacht von engagierten Winzerköpfen, die ihr Terroir und die Eigenschaften der Rebsorten genau kennen und harte handwerkliche Arbeit geleistet haben. Der Wein macht sich hervorragend zu einem italienischen Pasta-Teller mit verschiedenen Sorten frisch geriebenen Hartkäses.
2013 Sarva Mavrud & Merlot
Nach der Ernte mit der Hand wurden die Trauben in Holzkisten in den Keller transportiert. Um Farbe und Aromen zu gewinnen, erfolgte die Mazeration sieben Tage lang auf der Maische, die auf 8° C gekühlt wurde, damit die Gärung nicht durchstartet. Danach ging es mit der Gärung allerdings stürmisch ab, etwa für zwölf Tage. Zehn Tage lang ruhte der Wein dann noch, so dass die absinkenden Feststoffe auf natürliche Weise reduziert wurden. Anschließend fand die malolaktischen Gärung statt, dann entstand die Cuvée. Ende Mai 2015 kam der Wein auf die Flasche.
Er funkelt im Glas lila-schwarz, immer wieder blitzt es purpurfarben. Seine Aromen sind brillant fruchtig und kommen von Roten Johannisbeeren, Preiselbeeren, wilden Kirschen, Brombeeren, dazu Herbstlaub, ein Strauß getrockneter Gewürze, alles von einer angenehm sensiblen Holznote umgeben: Welch geniale, leicht süßliche Saftigkeit am Gaumen und im Abgang, welch spielerische Finesse, welch seidene Textur und welch feine würzig-cremige Tannine! Ein zärtlicher, fruchtiger Wein für Liebhaber leiser Tropfen. Er passt gut zu rare gegrillten Lammlachsen oder zu einer im Rohr gebratenen Ente mit einer aus dem Bratensaft kräftig abgeschmeckten Soße.
Die Rebstöcke in der Gegend um Gorno Belevo wurden mehrfach auf Ertragsreduzierung geschnitten, die Lese erfolgte per Hand, wobei bereits selektiert wurde. Die Trauben gärten in Edelstahlbehältern auf der Maische, später kam der Wein in französische Eichenholzfässer. Die Cuvée 2010 setzt sich zusammen aus 40 % Cabernet Sauvignon, 32,3 % Merlot und 27,7 % Shirah. Sie reifte 9 Monate im Holzfass und sechs Monate in der Flasche. Entstanden ist ein kraftvoller Wein mit einem energischen Potenzial.
Farblich sehen wir im Glas ein dunkles Granatrot mit violetten Reflexen. In der Nase dominieren reife rote und dunkle Früchte wie Schwarze Johannisbeeren und Zwetschgen, aber auch ein Hauch von Kaffee und Leder. Im Mund verbreitet sich ein kräftiger Körper, würzig, ja sogar etwas süßlich würzig mit einem Hauch Pfeffer, dazu Vanille- und Grüne Paprika-Töne sowie eine kleine Kirsch-Nuance. Er hat ein überraschend weiches, feines Tanningerüst, das seine gut ausbalancierte Vollmundigkeit stützt. Ein Energie-Wein, an dem man im Abgang noch lange herumschmatzt. Stellen Sie ihn auf den Tisch zu einer Lammkeule mit Kartoffel-Tomaten-Zucchini-Gemüse.
2011 Pitos Merlot-Cabernet Sauvignon-Rubin
Die Trauben für diesen Wein wurden per Hand und selektioniert geerntet und mit der bekannten Methode des Weinguts in Holzkisten per Kühl-LKW zum Keller transportiert. Hier wurde nochmals selektiert und dann entrappt. Die Trauben der einzelnen Rebsorten gärten separat in 5-Tonnen Edelstahl-Behältern und blieben sieben Tage auf der Maische, bevor sie fünfzehn Tage lang die erste Gärung durchmachten und dann noch weitere zehn Tage ruhten. Zum biologischen Säureabbau kam der Wein in Holzfässer für vierzehn Monate. Danach fand die Assemblage statt, die mit 35 % Cabernet Sauvignon, 35 % Merlot und 30 % Rubin erfolgt. Schließlich lag er weitere 24 Monate auf der Flasche, von denen rund 10.000 Stück abgefüllt wurden.
Im Glas sieht der Pitos granatfarben bis rotbraun aus, Richtung Kastanie, und ist nahezu intransparent. Das Aroma ist vielschichtig und entwickelt sich immer weiter, während er steht und Sauerstoff aufnimmt. Wir spülen ihn im Mund hin und her, vielfältige Geschmacksaromen stellen sich ein: Gewürze, Blaubeeren, Cassis, getrocknete Früchte von Feigen und Pflaumen, einige Cranberries, Paranüsse, ein Hauch von Zimt. Immer wieder drängeln sich Schokoladenstückchen dazwischen, auch erdige Anklänge. Das französische Holz gibt den gebührenden Vanilleakzent hinzu. Der Wein hält sich mit seinem soliden Körper und einer körnigen Struktur lange im Abgang. Er ist schon jetzt relativ reif, auf jeden Fall saftig und geschmeidig mit einer eleganten Abrundung. Die Tannine erscheinen lebendig, aber nicht aggressiv. Der Alkohol gibt mit 14,3 Volumenprozent einen Rahmen vor, der den Wein noch locker mindestens zehn Jahre stabil halten wird, um die vollendete Harmonie weiter zu entwickeln. Erfreuen Sie sich und dieses noble Aushängeschild von Dragomir noch in diesem Jahr mit einem weihnachtlichen Gänsebraten und zu anderen Jahreszeiten mit einer kräftigen Hirschkeule an rohen Klößen und Preiselbeeren.
15.06.2016
Fotos: © Dragomir
Bulgarische Weinbau-Geschichte
Weinbau gab es auf dem Gebiet des heutigen Bulgariens schon, als thrakische Stämme zu Ehren des Gottes Dionysos wildwachsende Rebstöcke kultivierten. Thrakien gilt als eine der Geburtsstätten des europäischen Weinbaus. Thrakischer Wein war zur Zeiten der Römer ein begehrter Exportartikel und wurde nach Griechenland, Sizilien, Kleinasien und Ägypten verschifft. Später führten Slawen und Bulgaren den Weinanbau fort, der im Mittelalter durch die Klöster einen Höhepunkt erreichte. Als die Türken 1393 das bulgarische Reich eroberten und 500 Jahre besetzt hielten, war der Weinbau trotz des allgemeinen islamischem Wein-Verbots zwar erlaubt, kam aber dennoch fast zum Erliegen.
Zu Sowjetzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Weinbau intensiv gefördert und mit industriemäßig hergestellten billigen Massenweinen zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig entwickelt, um dem Land Deviseneinnahmen zu verschaffen.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks übernahmen private Betriebe und Winzer die meist völlig unzulänglich gepflegten Rebflächen und versuchen seitdem moderne An- und Ausbaumethoden zu etablieren. Waren es früher 90 %, so wird heute nur noch etwas mehr als die Hälfte der Produktion exportiert, vor allem nach Russland, Polen, Großbritannien, und Deutschland.
Weinbauregionen in Bulgarien
Die Weinbaugebiete befinden sich an den Gebirgsausläufern, in den Seitentälern und im Flachland, wo es keine Hanglagen gibt. Man unterscheidet fünf Hauptgebiete:
Im Nordgebiet, der Donauebene, werden vor allem Muskat-Ottonel, Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay, Aligoté, Pamid und Gamza angebaut. Hier sind die Sommer heiß und sonnig, die übrigen Jahreszeiten sind eher gemäßigt.
Im Osten befindet sich die Schwarzmeerregion, wo aufgrund des ausgedehnten und milden Herbstklimas überwiegend Weißwein herkommt, also Dimyat, Riesling, Muskat-Ottonel, Sauvignon blanc, Chardonnay und Gewürztraminer.
Das Südgebiet mit der Thrakischen Tiefebene ist die historische Heimat des bulgarischen Weinanbaus. Hier herrscht kontinentaleuropäisches Klima mit sommerlichem Sonnenschein und gleichmäßiger Beregnung. Es wird vorwiegend Merlot, Mavrud, Cabernet Sauvignon, Muskateller und Pamid angebaut.
Im Südwesten (Struma Valley Region), insbesondere in den Täler zwischen Stara Planina, dem Balkangebirge und Sredna Gora, wachsen unter mediterranen Bedingungen meist Merlot, Cabernet Sauvignon und Melnik.
Im Talgebiet Rosental im Zentrum des Landes südlich des Balkangebirges baut man Muskateller, Riesling, Rkatsiteli, Cabernet Sauvignon, Merlot und Misket an.