An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut GravinO – sowohl Baden als auch Württemberg
13. Juni 2016
Welches Weingut kann schon von sich sagen, dass seine angestammten Weinberge mal eben das Weinanbaugebiet gewechselt haben? So geschah es jedenfalls der Wengerterfamilie Grahm in Kürnbach im badischen Kraichgau.
Kürnbach ist ein kleines badisches Weinbauörtchen an der Badischen Weinstraße mit schönen Fachwerkhäusern, Marktplatz, gemütlichen Gaststätten, Schloß und historischer Kirche – und einer Jahrhunderte alten Weinbautradition. Kürnbach nennt sich „Schwarzriesling-Dorf“, weil jeder fünfte Rebstock ein Schwarzriesling ist. Es liegt etwa inmitten eines Dreiecks Heilbronn-Pforzheim-Bruchsal rund 10 km nördlich vom touristisch bekannten Maulbronn.
Der Kraichgau ist eine hügelige Landschaft zwischen Odenwald, Schwarzwald und der oberrheinischen Tiefebene. Die prähistorischen Erdbewegungen haben hier ein terroir entstehen lassen, das für Rebstöcke zwei wichtige Annehmlichkeiten liefert: Die dicken, fetten Lösböden und das nahezu mediterrane Mikroklima. Weinbaumäßig knüpft man gerne an die gebietsübergreifende Region Kraichgau-Stromberg an: Der badische Kraichgau und der württembergische Stromberg. Hier kann man sich mit dem Glanz zweier Weinbauzonen schmücken, die von der EU nach klimatischen Kriterien festgelegt wurden. Deutschland gehört zur Weinbauzone A. Nur Baden befindet sich in der Weinbauzone B und kann mit dem Elsass, der Champagne sowie dem Loire-Tal gleichgesetzt werden.
Heute erscheint die doppelte Gebietszugehörigkeit als nützliche Kuriosität. Weil das Weingut GravinO mit seinen Weinbergen sowohl im Weinanbaugebiet Württemberg als auch im Weinanbaugebiet Baden liegt, gehört es zu beiden Gebieten und kann daher sowohl „Kenner trinken Württemberg“ als auch „Badischer Wein – von der Sonne verwöhnt“ anbieten.
Das Weingut GravinO baut etliche weiße und rote Rebsorten an. Bei den weißen sind es Riesling, Weißburgunder, Grauburgunder, Traminer, Muskateller, Müller-Thurgau, Scheurebe und Auxerrois, bei den roten Spätburgunder, Cabernet Sauvignon, Schwarzriesling und Lemberger. Besonders stolz ist Jochen Grahm auf seine über 40 Jahre alten Rebstöcke, die er hegt und pflegt und mit Leidenschaft zu Innovationen im Keller nutzt. Er hat sie inzwischen zu einer eigenen Linie „Alte Reben“ gemacht. Die altehrwürdige QbA-Leiter hat Jochen Grahm schon lange hinter sich gelassen und klassifiziert seine Weine intern nach einem Drei-Sterne-System.
Wie die meisten seiner Generation hat auch Jochen Grahm erkannt, dass die Weichen für einen guten Wein im Weinberg gestellt werden. Dazu gehört das Entfernen überschüssiger Triebe beim Austrieb und eine intensive Laubarbeit, vor allem durch gezielte Entblätterung nach der Blüte. Er verzichtet weitgehend auf chemische Mittel und setzt lieber auf die ökologische Schädlingsbekämpfung z.B. durch Pheromone. Die Rebstöcke verwöhnt er mit einem eigens hergestellten Kompost, der die Humusbildung und damit die Qualität des Bodens fördert. Auf künstliche Bewässerung wird verzichtet. Durch zusätzliche Traubenreduzierung wird insbesondere an den alten Rebstöcken die Qualität der verbliebenen Reben noch einmal erhöht. Er konzentriert sich ganz darauf, gesunde und physiologisch ausgereifte, aromatische Trauben zu ernten.
Im Keller werden die Weißen und die Rosé-Weine temperaturkontrolliert vergoren und meist im Edelstahl, aber auch im Holz und sogar im Barrique ausgebaut. Bei den Roten leistet er sich eine traditionelle Maischegärung in offenen Bütten. Es wird auch nicht wüst herumgepumpt, sondern wenn, dann überwiegend mit Schwerkraft transportiert. Er liebt es, die roten Sorten ins Barrique zu stecken. Um naturnahe Weine zu erhalten, reguliert er die Säure, wenn überhaupt, auf biologische Art durch Bakterien.
Wir konnten sechs Weine aus dem Weingut GravinO verkosten.
Der Kraichgau ist eine der Auxerrois-Inseln in Deutschland, wo diese weiße Burgunderspielart in langer Tradition angebaut wird. Der Name ist von der im burgundischen Chablis gelegenen Stadt Auxerre abgeleitet. Vermutlich wurde die Rebe bei der Vertreibung der Hugenotten von den Winzern mitgenommen und in Deutschland etabliert. Sie liegt allgemein im Trend der aromareichen, milden Weißweine.
Der GravinO 2015 Auxerrois trocken funkelt im Glas goldig hellgelb. Sein Bukett strömt nur so dahin: Reife Abbé Fétel Birnen, Ananas und zarte Töne von Heu und Nüssen. Geschmacklich jubeln Liebhaber sanfter Fruchtigkeit. Der Wein ist frisch und vor allem die Birnenaromen halten sich bis in den Abgang. Sie ringen im Mund mit Quitten, Äpfeln, Limetten und einigen Mirabellen plus der Imagination von einem warmen Brioche. Ein cremiger, saftiger Schmelz führt in einen kraftvollen Abgang. Die Fruchteindrücke werden von einer mittleren Säure und einer feinen Mineralität gestützt, was insgesamt die Frische des Weins bewahrt. Es ist durchaus ein kräftiger Wein, mit dem Jochen Grahm belegt, dass man den Auxerrois auch zu energischen Weinen bringen kann, wenn man ihn nur lange genug gären lässt. Das ist der klassische Begleiter eines klassischen Bachsaiblings, klassisch in der Pfanne gebraten.
2015 Muskateller feinherb
Im Glas haben wir einen goldgelben Wein und verwöhnen unsere Nase mit dem intensiven, süßlichen Aromenspektrum rund um den zentralen, kräftigen Muskatton: Holunderblüte, Orange, Mandarine plus Spuren von Anis und Fenchel. Wir schmatzen lange auf dem Wein herum. Die feine Restsüße betört den Gaumen, die Aromenvielfalt macht ganz einfach Spaß. Er ist leichtfüßig, hat aber die nötige spritzige Säure, um die Aromen lebendig und lange im fruchtig-süffigen Finish zu halten. Machen Sie es mal anders und schräger als alle anderen: Stellen Sie den 2015 Muskateller feinherb zu einer Platte luftgetrockneten San Daniele Schinkens hin, dazu getoastetes Bauernbaguette.
2014 Riesling Steillage trocken
Dieser Riesling ist ein sauberer, kerniger, ausdrucksstarker, ja komplexer Wein, mit einer guten Säurestruktur und einer kräftigen Mineralität, die manchem Großen Gewächs noch fehlen. Er führt klare, vollduftige Aromen von weißen Pfirsichen, Mangos und reifer Papaya vor, hinzukommt eine gewisse Würze und Pflanzlichkeit. Geschmacklich trumpft er saftig und prickelnd auf, tänzerisch, brillant und frisch. Die Aromen werden durch leichte Grapefruit- und Orangen-Töne, nach längerer Öffnung kommt eine florale Duftigkeit hinzu. Die reife, kristalline Mineralität, seine rassige, ausbalancierte Säure und der Volumenalkohol von 13,5 % machen den Wein kraftvoll, aber nicht schwierig. Die beeindruckende Fülle stabilisiert einen langen Nachhall. Enttäuschen Sie den Wein nicht einfallslos mit irgendeinem Fisch. Stellen Sie den Wein zusammen mit einem badischen Grau- und und Spätburgunder zu einer Käseplatte aus Weichkäse- und Hartkäsesorten hin. Oder ganz frech zu einem Apfelkuchen.
2014 Rosé Alte Reben trocken
Der Roséwein wird von Weinkennern, der Gastronomie und dem Handel geliebt und gehasst. Er ist eben ein Nicht-Rot-, aber auch ein Nicht-Weißwein und hat in den letzten Jahrzehnten sowohl unter den teilweise inakzeptablen Qualitäten als auch unter seiner Vermarkung als 1,95 DM-Massenwein gelitten. Rosé unterliegt immer wieder Modeströmungen. In bestimmten Jahren und in bestimmten Generationen ist er mal „in“ und dann schnell wieder „out“. Derzeit gibt es jedenfalls einen starken Trend zum Rosé, so dass immer mehr Winzer sich hochwertige Kreationen einfallen lassen. Eines steht jedenfalls fest: Die qualitativ hochwertigen Rosé-Weine sind jene, deren rote Trauben extra dafür gekeltert werden. Rosé als Saftabzug bei der Rotweinerzeugung ist völlig daneben. Er fällt meist zu breit, langweilig und wenig spritzig auf.
Und so erfreuen wir uns an feinen Aromen aus hellroten Früchten wie reifen Roten Johannisbeeren und Erdbeeren und dunkelroten bis schwarzen Tönen aus roten Pflaumen und Brombeeren. Den Geschmacksknospen imponieren eine feine Restsüße aus einem spätsommerlichen Obstkorb und eine trockene, leicht minzige Würze. Aus dem Obstkorb packen wir Zwetschgen aus, Kirschen, Himbeeren, reife Äpfel Jonathan. In der dezenten Restsüße tummeln sich sogar einige Litschis. Im Abgang verabschieden wir die Fruchtaromen erst wehmütig und dann in Erwartung des nächsten süffigen Schlucks. Das ist der Wein, der mit seidiger, spritziger Eleganz und einem ausgewogenen Säure-Süße-Spiel den Sommer verschönert oder an ihn erinnert. Er dürfte auch zu einem Salat Niçoise oder mild asiatisch marinierten Garnelen Vergnügen bereiten.
2013 Schwarzriesling Alte Reben unfiltriert trocken
Ein Schwarzriesling hat immer einen sortencharakteristischen Geschmack, bei dem die Fruchtnoten stark in den Vordergrund drängen, aber im Gegensatz zum Spätburgunder zusätzlich erdige, kräftig-würzige Töne mitspielen. Er ist im Südwesten zwar beliebt und bewährt, erfordert im Qualitätsausbau aber Großeinsatz im Weinberg, was die Laubarbeit angeht, weil nachgeholfen werden muss, damit die Triebe sich mit ihren Ranken am Drahtgerüst der Rebzeile festklammern. Auch auf Belüftung, Feuchtigkeitsregulierung und eine lockeren Beerenbehang muss geachtet. Außerdem muss man Erfahrung und Glück haben mit dem optimalen Lesezeitpunkt, will man keine Botrytistöne mitbekommen.
Die alten Reben von GravinO haben diesem Schwarzriesling eine starke Aromatik spendiert. Mit dem Alter der Reben nehmen nämlich ihr Ertrag und damit ihre Wirtschaftlichkeit ab, dafür werden die Inhaltsstoffe konzentrierter und die Aromen dichter. Eins draufgesetzt hat Jochen Grahm noch, indem er den Wein unfiltriert abgefüllt hat. Unter Filtration versteht man das Entfernen von Partikelchen und Trübstoffen aus dem jungen Wein mithilfe von Filtern. Innerhalb kurzer Zeit gelingt es so, den Wein klar und rein zu machen. Filtration hat aber nicht nur Vorteile: Weil die feinen Partikel und Schwebeteilchen auch Geschmacksträger sind, müssen Verluste von Aromastoffen in Kauf genommen werden. Wein lässt sich auch auf natürliche Weise klären. Wenn man ihm genügend Zeit lässt, setzen sich die festen Partikel von alleine auf dem Tank oder Fassboden ab.
Im Glas glänzt der Wein rubinrot mit ziegelroten Reflexen. Wie erwartet präsentiert er seine Aromen mit Power: Kirschen, Schwarze Johannisbeeren, Brombeeren und ein kleiner Hauch krustiges Roggenbrot. Am Gaumen entfaltet er sich ungemein lebendig und kernig, mit roten und schwarzen Johannisbeernoten, Sauerkirschen der Sorte Morellenfeuer, mit Hagebutten, Erde und vielem mehr, alles umrahmt von einer schönen Holznote. Die milde Säure und die deutlichen Tannine münden in einer verführerischen Opulenz und Eleganz. Das ist kein Widerspruch angesichts seiner vielschichtigen, reifen Struktur. Er zeigt viele Facetten, ist fruchtig und reif, aber nicht fett. Er dürfte in der weiteren Entwicklung zu einer ausdrucksstarken Seidigkeit finden. Gönnen Sie ihm in der Dekantierkaraffe 2 bis 4 Stunden vor dem Genuss. Dann freut er sich über einen Rehrücken mit einer dunklen, nicht zu kräftigen Soße. Noch etwas für Experimentierfreudige: Kühlen Sie den Wein auf 14° Grad und reichen Sie im Sommer zu einem Terrassen-Empfang. Er wird jeden Small Talk übertreffen.
Seit 2009 bringt Jochen Grahm eine Cuvée auf die Flasche, die nicht nur verschiedene Rebsorten zusammenführt, wie es üblich ist, sondern vor allem zwei Weinanbaugebiete, was eigentlich gar nicht statthaft ist. Deshalb ist in der Flasche „nur“ deutscher Wein, reindeutsch sozusagen. Mangels Passgenauigkeit in das gesetzliche Schema darf er nicht einmal als „Qualitätswein“ vermarktet werden, obwohl der verwendete Wein aus jeder Rebsorte so deklariert ist. Um es endlich zu verraten: Es ist under cover im wahrsten Sinne des Wortes ein badener und württemberger Mischmasch, der nicht verortet werden darf. Aber er schmeckt allerorten: Den Schwaben schmeckt er schon wegen seines moderaten Preises für einen hochwertigen Wein und den Badenern wegen seines exklusiven Geschmacks. Die Mischung macht es eben.
Der Grenzgänger ist eine Cuvée aus vier Sorten: Lemberger, Cabernet-Sauvignon, Spätburgunder und Regent. Der Cabernet-Sauvignon ist übrigens der gesetzeswidrige Störenfried, weil er als einziger Württemberger zu den sonnenverwöhnten badischen Sorten hinzukommt. Alle Weine sind selbstverständlich auf der Maische vergoren und im Holzfass gereift.
Wir freuen uns über das kräftige Dunkelrot und die interessanten Aromen von Schwarzen Johannisbeeren, Brombeeren, Holunder, Kirschen, nebst einigen Pflaumen und Röstaromen. Geschmacklich gleiten wiederum die Schwarzen Johannisbeeren, Brombeeren und Kirschen über die Zunge, auch herbstliche Trockenblumensträuße können wir uns vorstellen. Er hat Rückgrat, ist aber nicht schwer. Die Säure ist eher zärtlich, die Tannine sind gebändigt, zumal der Regent-Anteil der geringste sein dürfte. Im Finish bleibt er einige Zeit am Gaumen und wärmt angenehm. Ein lokal vagabundierender, zeitloser Rotweinzauber von hoher Klasse. Er steht richtig auf dem Tisch bei einem Hirschragout mit selbstgemachten Kartoffelklößen.
Jochen Grahm stellt im Hörerlebnis das Weingut aus Baden und Württemberg vor.
Fotos u. Flaschenfotos: © Weingut GravinO
Etiketten-Fotos: © D.R.
HÖRERLEBNIS mit Jochen Grahm