An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Wein, Olivenöl und mehr – die Weinkellerei Lungarotti in Umbrien
19. März 2014
Giorgio Lungarotti war eine italienische Weinlegende. Als er 1999 starb, lagen seine großen Verdienste schon rund zwanzig Jahre zurück: Er war es, der dafür gesorgt hatte, dass die Weine Umbriens heute zu den besten Italiens gehören. Er hat vielen Gemeinden in der Region die DOC-Klassifikation verschafft, insbesondere Torgiano, wo Lungarotti 1962 ein Weingut gegründet hatte. Er wollte legitimer Weise, dass die hohen Qualitätstandarts der italienischen Klassifikationen auch in seiner Region festgeschrieben werden. Die Weinregion um Torgiano erhielt 1968 als eine der ersten in Italien den DOC Status, 1990 folgte der DOCG Status. Es ist wohl vorwiegend den Qualitätsforderungen von Giorgio Lungarotti zu verdanken, dass Umbrien es inzwischen mit den Spitzenweinen der benachbarten Toskana und anderer italienischer Regionen aufnehmen kann.
Heute gehört Lungarotti zu den berühmtesten und mit rund 260 Hektar eigener und 40 Hektar gepachteter Fläche in Torgiano sowie 20 Hektar Pachtland in Montefalco größten Weinbaubetrieben in Italien, der alljährlich rund 2 Millionen Flaschen abfüllt. Es ist der Spitzenbetrieb der Region Umbrien, die übrigens als einzige Region Italiens weder eine Meeresküste noch eine Grenze zum Ausland hat.
Das Weingut Lungarotti liegt nach wie vor in Torgiano, südlich von Perugia, vereinfacht gesagt auf der halben Strecke zwischen Rimini und Rom. Familie Lungarotti hatte das bemerkenswerte Glück, dass sich die beiden Töchter von Giorgio für den Wein begeisterten. So führen heute Teresa Severini geborene Lungarotti und Chiara Lungarotti den Betrieb gemeinsam und sind die Chefs von immerhin 120 Mitarbeitern. Unterstützung kommt von Giorgios Ehefrau Maria Grazia Marchetti Lungarotti, so dass der Betrieb vollständig von Frauen gemanagt wird.
Trotz aller Größe und Marktposition sieht sich die Familie nach wie vor in der Tradition, der Geschichte und der Landschaft Umbriens beheimatet. Andererseits prägen sie die Region mit ihrer unternehmerischen Dynamik und der Vielzahl ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten.
So wird nicht nur Wein gemacht, sondern von Lungarotti kommen auch Oliven, zwei Olivenöle, darunter ein ein DOP-Olivenöl, Balsamico, Grappa und ein Nocino, der berühmte italienische Walnusslikör. Sie führen in Torgiano das Melograne Restaurant, eine Osteria, einen Balsamico-Keller, einen Shop und das luxuriöse 5 Sterne-Spa-Resort Le Tre Vaselle, wo weintherapeutische Behandlungen angeboten werden. Önologisch, historisch und kulturell hochinteressant sind das 1974 eröffnete Weinmuseum und das vor fünf Jahren neu geschaffene Öl- und Oliven-Museum. Mehr als 20.000 Besucher schauen jährlich in den Museen vorbei. Äußerst beliebt sind auch die Kochseminare und Verkostungen der Lungarottis. Jeder Touristiker bewundert die gelungene und lukrative Verzahnung von Wein, Kultur und Tourismus. Torgiano gehört zum unerlässlichen Stop auf jeder Weintour durch Italien. Um die Beziehungen zwischen dem Weinmachen und den kulturellen Traditionen zu erhalten, wurde die Lungarotti Stiftung gegründet.
Natürlich deckt Lungarotti mit seinen Weinen heutzutage die ganze Skala der Nachfrage der Konsumenten ab, ist sich gleichwohl treu geblieben im Streben nach Spitzenqualitäten.
Ausgangspunkt ist für die Familie, dass sie nur Trauben aus eigenen Rebflächen verarbeitet. Des Weiteren nutzt Lungarotti die Größe des Betriebs, um sich einen ganzen Strauß von Rebsorten zu leisten. Bei den Rotweinsorten sind das unter anderem Sangiovese, Cabernet Sauvignon, Montepulciano und Canaiolo, bei den Weißweinsorten vor allem Trebbiano, Grechetto, Malvasia, Vermentino und die eher gebietsuntypischen Sorten Chardonnay und Pinot Grigio. Die Weinstöcke stehen in der hügeligen Gegend um Torgiano, aber auch in Montefalco. Es gibt dazu eine plausible Einteilung: Die Spitzenweine kommen aus Höhenlagen von 270 bis 300 Metern, während der Stoff für das junge Traubenvolk an den Hängen des Tiber-Flusses in 170 und 200 Meter Höhe wächst.
Im gesamten Unternehmensbereich sind moderne Methoden eingezogen, das gilt schon für den Weinberg, erst recht im Keller. So sind beispielsweise die Weinberge mit allerlei Wettertechnik und fünf großen Wetterstationen bespickt, die Prognosen erlauben, auf denen ein modernes Agrarmanagement aufbaut. Das erlaubt nicht zuletzt, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gezielter zu steuern und damit zu reduzieren.
Im Keller der Lungarottis steht alles, was die aktuelle Keltertechnologie hergibt. Dabei greifen die Lungarottis immer wieder auf ihren traditionellen Stil zurück und bauen viele Weine in riesigen französischen Eichenfässern aus. Seit Jahrzehnten kommt insbesondere der Sangiovese dort hinein, wodurch er eine besondere Würze und Feurigkeit bekommt. Mit seinem Dickkopf setzte Giorgio Lungarotti durch, dass seine Reserve-Weine unendliche Ewigkeiten in der Flasche reiften, immer deutlich länger als das DOC-Statut vorschrieb. Das wurde über die Jahre zu seinem Markenzeichen, resultierten daraus doch wahre Kultweine wie etwa der Rubesco Vigna Monticchio Torgiano Rosso Riserva.
Gegen die beklagenswerte Verwirrung, die Sangiovese-Traube zu Massentropfen für die Aktions-Türme im Supermarkt zu verarbeiten, hat sich Lungarotti stets gewehrt. Er hat sich von der Masse durch Qualität abgesetzt, oftmals durch elegante Weine oder durch Weine, die eine erdig-markante Beziehung zu seiner Heimat Umbrien belegten. Seit einigen Jahren macht Familie Lungarotti auch „ classic method sparkling wines made in Umbria“, also Schaumweine aus der Region mit der traditionellen Rüttelmethode.
Das Weinprogramm von Lungarotti ist eindrucksvoll. Die Hälfte sind DOC- und DOCG-Torgiano-Weine. Neben den italienischen Weintraditionen bedient das Weingut mit Chardonnay, Cabernet Sauvignon und Syrah aber auch den internationalen Stil.
Wir konnten fünf Weine von Lungarotti verkosten und dazu ein Olivenöl.
Brezza 2012 Umbria Bianco IGT
Im Glas schaut uns der Brezza 2012 hellgelb und kristallklar an. Er lockt mit einem duftigen, exotisch-vielfruchtigen Bouquet. Eine Abate-Fetel-Birne ist prägnant, Weiße Pfirsiche sind dabei, weiße Blüten und ein Schuss weißer Melone und Ananas nebst einem gewissen Zitrushauch. Das ergibt im Mund erwartungsgemäß eine quicklebendige Frische und Spitzigkeit, die sogar deutlich moussiert und irgendwie etwas lieblich abgeht. Es ist ein aromatischer, ja erstaunlich süffiger Wein. Die milde Säure und zurückhaltende Würze bringt einen easy Swing in den Genuss, der den gekühlten Wein perfekt macht für den flotten Abend auf der Dach- oder Garten-Terrasse mit open-end. Ein typischer Lifestyle-Wein, wie man heute leichtfertig sagt. Servieren Sie ihn mit nur leicht gewürzten Speisen wie einer sanften Hähnchenbrust oder einem Quiche mit Spinat in Crème Fraiche.
Die Linie "Brezza" (Brise) soll an die Seefahrt erinnern und verspricht zu recht eine Frische, die wir auch im Rosato wiederfinden. Ebenso wie mit dem Bianco können Sie mit dem Rosato gut gekühlt auf jedem Terrassen-, Balkon- und Gartenevent beeindrucken. Rosé ist ja bekanntlich der modische Topwein für die Party und der neue Überzeugungstropfen für die Weinignoranten. Auf den Brezza Rosato 2012 ist auch insoweit Verlass. Im Glas entfalten sich adäquate Erdbeeraromen, dazu eine Fantasie aus Himbeeren mit frischer Minze und einen Duftschleier von Rosen. Es ist ein Rosé aus roten Sangiovese-Trauben, die nur kurz gemaischt sind, bevor die Schalen getrennt werden, und er im Edelstahl in eine halbtrockene bis leicht liebliche Form gebracht wird. Und zwar in eine extrovertierte Fruchtigkeit, aromatisch, süffig. Es ist der Wein zum Nachschmatzen, der auch gut zu Garnelen in einer dezent-süßlichen Currryumgebung passt. Oder Sie starten einmal einen passenden Tag mit diesem Wein und stellen ihn zum Frühstück einem leichten Gemüseomelette hin – der Rest des Tages ist gerettet.
Brezza Rosso Dell'Umbria IGT 2012
Sagrantino 2008 Montefalco Sagrantino DOCG
Im Glas steht er tiefviolett bis rubinrot und öffnet sich mit dunklen, kernigen Fruchtaromen: Mindestens Schwarze Johannisbeeren und Brombeeren, wenn nicht Berliner Rote Grütze und Heidelbeeren nebst Süßholz und Kakao. Wir schmecken die volle Breitseite dieser Rebe: Doppelter Expresso, süßlicher Pfeifentabak, Kirschen, Pflaumen, Himbeeren und leckere Alpenmilchschokolade, alles kompakt und dicht. Dieser Wein hat mit seinen 14,5 Volumenprozent body, Kraft und Energie, er breitet sich intensiv und mächtig aus. Die Tannine dürften sich abrunden, die Cassisnote zunehmen. Der verkostete Jahrgang jedenfalls bringt sich dank seiner Tannine, seiner frischen, aber zurückhaltenden Säure und seiner schönen Fruchtigkeit im Abgang noch lange in Erinnerung. Ein edler Wein, der sich auch zu einem eleganten Gericht stolz präsentiert: wir denken an eine im Ofen gegarte Rehkeule oder auch ein gegrilltes Pfeffersteak mit Wacholderbeeren. Das ist aber auch ein Wein, den sie dank seiner gepowerten Tanninstruktur stressfrei zwischen 10 und 20 Jahren aufbewahren können, die Enkel werden sich freuen.
Rubesca Vigna Monticchio 2006 Torgiano Rosso Riserva DOCG
Der Wein funkelt dunkel-violett im Glas, ein vielfältiges, reiches Bouquet steigt in die Nase: dunkle Hedelfinger-Süßkirsche mit reifen Zwetschgen und einer Prise Bourbon-Vanille-Zucker. Dann plötzlich in der Nase der große Auftritt: Schwarze Kirschen, Reife Zwetschgen, Brombeeren, Nougat, eine Prise Beifuß und Majoran – war da nicht eben auch ein Veilchen? Alles umrahmt mit einem vanilligen Holz-Vivace. Wir schwelgen in einer unerwarteten, intensiven Mineralität und muskulöser Üppigkeit. Ein raffinierter, seidiger Wein, perfekt inszeniert mit vornehmer Säure, intimer Lieblichkeit und feiner Balance. Ein Wein, dem der Gambero Rosso einen vierten Stern umhängen sollte. Das ist einer der legendären Weine von Lungarotti, die bei sachgerechter Lagerung ein bis zwei Generationen, d.h. 30 bis 40 Jahre, überspringen können und die den Ruf Lungarottis als einer der besten italienischen Weinproduzenten begründet haben. Wenn Sie den Wein schon jetzt spendieren wollen, dekantieren Sie ihn für etwa eine Stunde und genießen Sie ihn solo an einem wunderschönen Abend voller Erinnerungen. Wenn Sie ihn unbedingt einem Essen aufdrängen möchten, so wählen Sie eine Hirschkeule mit Trüffelsoße, geschmorten roten Johannisbeeren und – ja wirklich – Spätzle.
Das Olivenöl
Lungarotti Olio Extra Vergine di Olivia DOP Umbria
In Umbrien entspricht es der Tradition, dass die Winzer auch Olivenhaine haben und ihr eigenes Olivenöl herstellen. Wenn Lungarotti beim Wein Spitzenqualitäten bieten kann, dann doch wohl auch beim Olivenöl. Und tatsächlich tröpfelt hier ein Öl aus der Flasche, das eines der besten Olivenöle Umbriens ist.
Bei der fachgerechten Verkostung aus kleinen blauen Gläsern, in der das Öl vor dem ersten Schluck handgewärmt wird, erschnüffeln wir eine anhaltende Fruchtigkeit mit dem typischen Olivenaroma, dazu etwas süßlich grünes Gras. Im Mund verteilt sich ein spontaner Geschmack von Kräutern und Frucht, der zunehmend intensiver wird. Am Gaumen kommt ein leicht bitterer Geschmack mit einer herrlichen, verzögerten und supersanften Schärfe an, was – ähnlich wie die Säure beim Wein – mit der Fruchtigkeit harmoniert und für einen langen Abgang sorgt. Natürlich können Sie mit diesem exzellenten Öl ein leckeres Bruschetta oder eine gegrillte Auberginenscheibe beträufeln. Aber genießen Sie es erst einmal pur und grüngoldig auf einer leicht gerösteten Ciabatta- oder Roggenbrot-Scheibe. Danach gönnen Sie sich das Öl mit einer würzigen Tomatensuppe oder einer Suppe aus Puy-Linsen oder einer Salatkomposition aus verschiedenen
Im Hörerlebnis stellt Teresa Severini, Mitinhaberin von Lungarotti, das Olivenöl vor. Was den Wein angeht, so ist sie eine der ersten Wine-Maker-Frauen in Italien, die „Donne del Vino“ (Frauen des Weins) gegründet haben.
alle Fotos: © D. Rosenbaum
HÖRERLEBNIS mit Teresa Severini
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So verkosten Sie Olivenöl aus Umbrien
Der Geschmack eines Extravergine Olivenöls hängt von den Olivensorten, der Lage der Bäume, der Erntezeit und vom Jahrgang ab. Das sensorische Erlebnis eines DOP-Olivenöls ist einzigartig, weil es kein Blend aus verschiedenen Regionen und Jahrgängen ist, in dem immer die gleichen geschmacklichen Eigenschaften hergestellt werden.
Verkostet wird aus einem getönten, mit einem Tellerchen abgedeckten Glas, die Profis schwören auf blaues Glas. Durch die Tönung lässt sich erst einmal die Farbe des Öls verbergen, die nichts über die Qualität aussagt. Idealer Weise sollte das Olivenöl zur Entfaltung der Aromen eine Temperatur von 28 Grad haben. Man behilft sich, indem man das Glas in der Hand dreht und durch die Körpertemperatur hinreichend erwärmt. Über den Geruch lässt sich nun erkennen, ob es sich um ein grünes oder reifes Öl handelt.
Und nun dürfen Sie laut und vernehmlich schlürfen, ziehen Sie den ersten Schluck so durch die Zähne, dass es ordentlich zischt und röhrt. Sie werden damit als Kenner wahrgenommen. Der Luftkontakt bringt die Aromen zur vollen Entfaltung.
Jetzt werden die Eigenschaften Fruchtigkeit, Bitterkeit und Schärfe ermittelt – alles positive Attribute. Die Fruchtigkeit resultiert aus dem Reifegrad der Oliven. Früh geerntete Oliven outen sich durch ein grünes, grasiges Aroma mit Kräutern und grünem Apfel. Reife hingegen lassen Aromen von Mandeln, Nüssen, oder Bananen raus. Selbstverständlich darf das Öl keine sensorischen Fehler aufweisen, also nicht muffig, ranzig, metallisch wirken. Wer keine positiven Aromen wahrnimmt, ist entweder sensorisch nicht gut drauf oder hat wärmebehandeltes Öl vor sich.
Abschließend wird die Harmonie bewertet, also ob Fruchtigkeit und jugendliche Schärfe und Bitterkeit ausbalanciert sind.